Wieder unbesiegbar?

Roger Federer spürt nach seinem gefeierten Sieg bei den US Open wieder „das Gefühl von früher“. Doch der Schweizer, nur noch die Nummer zwei, wirkt bei seinem Triumph erstaunlich menschlich.
von  Abendzeitung
So sehr hat sich Roger Federer lange nicht mehr gefreut über einen Sieg. Zum fünften Mal hintereinander triumphierte er in New York.
So sehr hat sich Roger Federer lange nicht mehr gefreut über einen Sieg. Zum fünften Mal hintereinander triumphierte er in New York. © dpa

Roger Federer spürt nach seinem gefeierten Sieg bei den US Open wieder „das Gefühl von früher“. Doch der Schweizer, nur noch die Nummer zwei, wirkt bei seinem Triumph erstaunlich menschlich.

NEW YORK Am Boden war er nur einmal an diesem kurzen, beinahe flüchtigen Endspiel-Montag. Doch da war auch schon alles vorbei für ihn, für den alten und neuen König von New York – für den großen Roger Federer, den Serienchampion ohne Gnade.

Nichts hielt Federer noch auf den Beinen, als ihn die Erleichterung und die Emotionen übermannten, als er schließlich nach einem Tennisjahr mit vielen Krisen endlich wieder einen Grand-Slam-Titel eingesackt hatte. „Es war ein unwiderstehliches Gefühl, ein Gefühl wie früher. Das Gefühl, unbesiegbar zu sein", sagte Federer nach seinem 6:2, 7:5, 6:2-Sieg über den schottischen Finalnovizen Andy Murray.

Schwerelos leicht wirkte Federer bei diesem historischen Triumph. Als erstem Spieler der modernen Tennisära war es ihm nun gelungen, fünfmal hintereinander das komplizierteste und nervenaufreibendste Major-Turnier zu gewinnen. „Es war eine Lehrstunde für mich da draußen. Gegen den besten Spieler aller Zeiten", sagte der geschlagene Murray später über seinen herausragenden Schweizer Gegner.

Wie eine Nummer 1 spielte Federer, der seit kurzem nur noch die Nummer 2 ist, und wie ein Cowboy überwältigte er seinen jungen Kollegen – mit scharfen Schüssen aus der Hüfte, mit einer unglaublichen Angriffswucht, mit 44 Netzattacken in drei Sätzen, mit einer Aggressivität, die den armen Schotten regelrecht verängstigte. „Eins kann ich versprechen. Bei 13 Titeln wird es nicht bleiben. Ich will den Rekord", sagte Federer und schickte lächelnd eine Grußadresse an seinen Freund Pete Sampras, den Allzeit-Spitzenreiter mit 14 Grand-Slam-Titeln.

Doch der Federer, der nun in New York 2008 gewonnen hat, war nicht der Federer der vergangenen Siegerjahre. Es war nicht jener Tennis-Großmeister, der mit unmenschlicher Klasse in einem Parallel-Universum seine Kreise drehte, der über allem und jedem Konkurrenten schwebte und dessen Siege von nüchterner Eleganz geprägt waren. Nun war stattdessen ein Federer zu bestaunen, der sich wieder mittendrin im Kampfgetümmel bewegte, der sich seinen Lohn schwer erarbeiten musste. Ein Federer, der zitterte, fluchte, feierte, brüllte. Der seinen Ärger über leichte Fehler herausschrie und der in Glücksmomenten strahlte wie ein Kind. Federer war sozusagen auf der Erde gelandet, er war wieder human geworden, und er hatte auch wieder den urtümlichen Spaß an seinem Spiel zurückgefunden. „Es war ein ganz besonderes Turnier für mich", sagte der Sieger später, „ein Turnier, bei dem die Gefühle intensiver waren."

Der Schweizer war herrlich unberechenbar - für seine zitternde Entourage, für die Tennisfans, für seine Gegenspieler und auch für sich selbst. Auch weil ihm über die letzten Monate die Aura des Unberührbaren, des Unnahbaren abhanden gekommen war, fiel Federer nichts leicht in 15 denkwürdigen US Open-Tagen: Es war eine Blut-, Schweiß- und Tränen-Mission, auch in den besseren Momenten, etwa im Halbfinale gegen Novak Djokovic. „Es ist eine Ewigkeit her, dass er zwei Wochen so um einen Sieg kämpfen musste", sagte Tennis-Legende John McEnroe, „aber diese Siege sind dann die schönsten."

Und diesen neuen Federer haben die New Yorker dieses Jahr vom ersten Moment an in ihr Herz geschlossen. „Sie sind in sein Lager übergelaufen, weil er ein vertrautes Gesicht ist, weil er nett ist, weil er ein Freund von Tiger Woods ist, weil er ein New-York-Fan ist – und weil er jetzt auch noch Emotionen zeigt", notierte die „New York Post" zu der frischen Liebesaffäre zwischen den Fans und einem Champion, dem wie anderen zuvor erst recht die Sympathien zuflogen, wenn er schwer um seine Siege fighten musste.

Jörg Allmeroth

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