Wie weiblich ist Frauenfußball?
AZ: Frau Voss, wo schauen Sie das WM-Eröffnungsspiel ?
MARTINA VOSS-TECKLENBURG: Im Urlaub auf Mallorca mit meiner Familie und Freunden. Mein Mann und ich ziehen zur Feier des Tages natürlich das Deutschland-Trikot an. Entweder holen wir den Fernseher raus auf die Terrasse – oder wir fahren nach El Arenal, dort läuft das Spiel in vielen Restaurants auf Großbildleinwand.
Eine Frauen-WM in Deutschland. Wären Sie da gerne nochmal jung und selbst Nationalspielerin?
Ja, unbedingt. Die Begeisterung und Euphorie im eigenen Land ist das Größte, was einer Sportlerin passieren kann. Gleichzeitig werden an die Spielerinnen aber enorme Erwartungen gestellt. Diesem Druck muss man erstmal standhalten können. Es ist ein Unterschied, ob man beim Testspiel vor 15000 oder 20000 Zuschauern spielt, oder wie beim WM-Eröffnungsspiel vor rund 70 000.
Sie arbeiten als Trainerin, was würden Sie den jungen WM-Spielerinnen raten?
Sie sollten versuchen, locker in den Beinen zu bleiben. Und sie sollten bloß nicht zu viel Angst davor haben, einen Fehler zu machen. Das führt in der Regel nur dazu, dass man verkrampft und nicht mehr voll leistungsfähig ist.
Leichter gesagt als getan...
Allerdings, mir ging es als Nationalspielerin früher nicht anders. Vor wichtigen Spielen war ich sehr nervös. Jede Spielerin geht allerdings anders mit diesem Druck um.
Zum Beispiel?
Eine Alexandra Popp kommt mit ihrer offenen Art sicherlich besser damit zurecht als Spielerinnen, die eher introvertiert sind.
Die junge Popp ist da gewiss auch unbedarfter...
Aber auch sie hat dazugelernt. Poppi hat in den vergangenen drei Jahren fast schon einen Quantensprung gemacht – nicht nur, was ihre Leistung betrifft, sondern auch persönlich. Als ihre Trainerin beim FC Duisburg habe ich das mitverfolgt: 2009 beim Uefa-Cup war Alexandra Popp gerade 17. Wir hatten das Spiel damals gewonnen, aber sie war nicht zufrieden mit sich. Nach dem Spiel hat sie zu mir gesagt: „Ich konnte gar nicht so gut spielen. Meine Beine haben von der ersten Minute an geschlottert.”
Über Schwächen zu sprechen – das fällt im Leistungssport schwer. Das wissen Sie nur zu gut. Sie wurden im Jahr 2000 aus der Nationalmannschaft suspendiert, weil Sie wegen Problemen mit Ihrer damaligen Freundin Inka Grings die Teilnahme an einem Länderspiel abgesagt haben.
Das hat sehr weh getan. Ich war Mannschaftsführerin mit 125 Länderspielen, und es waren nur noch drei Monate bis zu Olympia in Sydney. Dann das schnelle Aus.
Ihrer damaligen Trainerin Tina Theune-Meyer hatten Sie von dem Verhältnis zu Inka Grings erzählt. Sie wurden im Anschluss nicht mehr berufen. Wurden Sie bestraft, weil Sie über die Liebe zu einer Frau gesprochen haben?
Nein, solche Spekulationen möchte ich entschieden zurückweisen. Das war ganz bestimmt nicht der Grund für meine Suspendierung. Der DFB hat mich wegen dieser Sache nie unter Druck gesetzt und auch vorher nie gedroht, was passieren würde, wenn ich mich oute.
Warum kam es trotzdem zum Eklat?
Den genauen Grund kenne ich bis heute nicht. Die Antwort meiner Trainerin war damals: „Das ist ein Bauchgefühl.” Ich denke, Tina hat damals gefürchtet, dass es Unruhen in der Mannschaft gibt. Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Das alles ist aber längst Vergangenheit. Heute haben Tina Theune und ich ein sehr gutes Verhältnis.
Sie sind inzwischen verheiratet. Wie verstehen Sie sich mit Ex-Freundin Inka Grings?
Auch zu ihr habe ich heute wieder ein gutes Verhältnis. Ich war in Duisburg drei Jahre lang Inkas Trainerin. Wir sind befreundet und vertrauen uns. Und wir gehen sehr respektvoll miteinander um.
Was haben Sie aus der Affäre von damals gelernt?
Aus heutiger Sicht hätte ich meine Umwelt nicht mit meinen privaten Angelegenheiten belasten sollen.
Und trotzdem begrüßen Sie die wachsende Offenheit, mit der sich der DFB unter Theo Zwanziger der Homosexualität im Fußball widmet.
Ja, ich finde es toll, dass im gesamten DFB Themen wie Homosexualität und Integration angesprochen werden. Damit setzt der DFB das Zeichen: Wir haben ein offenes Ohr für dich. Wir sind für dich da. Wir alle sind schließlich nicht nur Profis, sondern in erster Linie Menschen.
Ein Aufruf an die Spielerinnen und Spieler von heute, sich zu outen – oder beispielsweise zuzugeben, depressiv zu sein?
Nein, das möchte ich mir nicht anmaßen. Auch, wenn diese Themen im Fußball kein Tabu mehr sind, bleibt jeder Mensch anders. Manche behalten Privates lieber für sich, andere outen sich aus innerer Überzeugung.
Wieder andere ziehen sich für den „Playboy” aus. Auch eine Art, sich zu outen.
Dass die fünf deutschen Junioren-Nationalspielerinnen sich für die Fotos entschieden haben (zu sehen waren u.a. die Bayern-Spielerinnen Julia Simic und Annika Doppler, d.Red.), ist allein ihre Sache. Ich habe viele Sportlerinnen im Playboy gesehen. Nur, weil es diesmal Fußballerinnen waren, sollte das nicht Anlass für eine eue Debatte sein...
...die da wäre?
Dass die Fußballerinnen es nötig haben, ihre Weiblichkeit zur Schau zur stellen. Gegen solche Klischees wehre ich mich entschieden.
Ist Frauenfußball weiblich?
Ja, warum denn nicht? Ich bin mir sicher, wenn die Männer nicht wüssten, dass es sich um Fußballerinnen handelt, würden sie sie ebenso mit Leichtathletinnen, Handballerinnen oder Hockey-Spielerinnen verwechseln. An welchen Schönheitsidealen und Attributen wird Weiblichkeit denn gemessen? Bleiben wir doch mal ehrlich gegenüber den Frauen. Nicht jede von uns ist Germany’s Next Topmodel.