„Wie soll der sauber sein?“

Ex-Profi Thurau hat früher selbst gedopt. Heute, sagt er, sei alles viel schlimmer. Er schätzt, dass bei der Tour de France 50 Fahrer auffliegen könnten– und wundert sich auch über Lance Armstrong
von  Abendzeitung
Der Radprofi Dietrich Thurau bejubelt seinen Etappensieg bei der Tour de France.
Der Radprofi Dietrich Thurau bejubelt seinen Etappensieg bei der Tour de France. © az

Ex-Profi Thurau hat früher selbst gedopt. Heute, sagt er, sei alles viel schlimmer. Er schätzt, dass bei der Tour de France 50 Fahrer auffliegen könnten– und wundert sich auch über Lance Armstrong

AZ: Herr Thurau, Freude Sie sich auf die Tour de France?

DIDI THURAU: Nee, um Gottes willen, überhaupt nicht. Ich fahre da auch nicht hin. Das erspare ich mir. Der nächste Skandal ist nur eine Frage der Zeit. Die Bergetappen schaue ich mir im Fernsehen an, aber sonst nichts. Die ganzen Fälle im Vorfeld, von Bernhard Kohl bis Patrik Sinkewitz, der jetzt ausgepackt hat und die Protokolle veröffentlicht hat, wie bei seinem alten Team Quick Step systematisch gedopt worden ist. Ein Riesen-Hammer. Da vergeht einem die Lust.

Sie glauben also nicht an den Neuanfang, von dem seit Jahren ständig die Rede ist.

Nein. Was ich so mitkriege, ist es noch schlimmer geworden. Keiner hat was dazugelernt. Die Suche nach neuen Produkten geht immer weiter, es wird immer mehr genommen. Die Kontrollen sind absolut wirkungslos. Das hat Kohl ja auch dargestellt. 200 Mal getestet, einmal erwischt. Das sagt doch alles.

Jörg Jaksche hat gesagt, der Tour-Sieger 2009 wird gedopt sein.

Das glaube ich auch. Zu 99,9 Prozent. Den sauberen Radsport gibt es nicht. In Deutschland ist der Radsport eh kaputt.

Dennoch übertragen ARD und ZDF auch weiterhin. Hätten Sie einen Komplett-Ausstieg begrüßt?

Dann dürfte man ja Pferdesport und Leichtathletik auch nicht mehr zeigen. Der Radsport ist halt besonders schlimm. Die Frage ist nur: Ist es noch vertretbar? Andererseits gibt es ja noch genug Leute, die sich das anschauen. Jetzt sicher auch wegen Lance Armstrong und seinem Comeback. Wobei ich da nicht verstehe, warum er die Tortur auf sich nimmt. Was will er sich da beweisen? Und wenn man die Vorgeschichte kennt, ist es eh schwer, ihm alles zu glauben. Wenn man da liest von den positiven Proben, die vor Jahren geöffnet wurden, wie soll der da jetzt sauber sein.

Bernhard Kohl hat gesagt, er habe sich schon mit 19 dazu entschieden, zu dopen.

Das war zu meiner Zeit anders. Selbst mit 23 habe ich noch nicht daran gedacht, dass man so etwas braucht. Das war noch lange nicht so schlimm wie heute. Wenn man sieht, was die sich heute alles reinhauen, da waren wir ja Waisenkinder dagegen.

Wann fingen Sie mit Doping an?

Viel später. Erst so Mitte der Karriere. Das Schlimme heute, das sind ja die Leute hinter den Sportlern. Zu meiner Zeit hast du halt deine Amphetamine genommen, das hat der Masseur gemacht, das war's, aus. Heute hast du diese ganzen Hintermänner, die versuchen, mit dem Sportler Erfolg zu haben. Die jungen Radfahrer lassen sich belabern und sagen, wenn die anderen das machen, muss ich das auch.

Ist Ihr Sohn Björn in Gefahr?

Der ist 21 jetzt, ab Samstag fährt er die Österreich-Rundfahrt. Manchmal bekomme ich da als Vater schon Angst um ihn, wenn man am Rande mitkriegt, was da gemacht wird.

Sie meinen, dass ihm auch Manipulation angeboten und nahe gelegt wird?

Da will ich nicht groß drüber reden, aber was ist mitkriege, ist alles sehr problematisch.

Wollen Sie da als Ex-Profi und Insider nicht die Notbremse ziehen und ihn aus dem Radsport rausholen?

Ja, wie denn? Ich kann den nicht rausnehmen. Der ist 21, sein Ziel ist Radprofi. Sonst nichts. Das muss allein er entscheiden. Klar ist aber auch, dass ich mir um meinen zweiten Sohn weniger Sorgen machen muss.

Der radelt nicht?

Nein, der Ulf ist 14 und will Tennis-Profi werden und einmal Wimbledon gewinnen. Ich denke, in der Tennis-Szene ist das alles nicht so schlimm wie im Radsport. Lassen wir uns überraschen, wie viele bei der Tour jetzt auffliegen.

Wann, denken Sie, wird der Erste erwischt?

Was ich so höre, sind 50 Fahrer im engeren Umfeld. Ich schätze mal, so etwa zur Halbzeit. Aber wissen Sie, was komisch ist?

Was?

Früher hat man vor der Tour noch getippt, wer den Gesamtsieg holt. Heute tippt man, wann der erste erwischt wird. Das macht alles keinen Spaß mehr. Das ist nur noch irre.

Interview: Florian Kinast

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