Wie Paralympics-Star Michael Teuber der Corona-Krise trotzt

Die Verschiebung der Spiele in Tokio auf 2021 trifft Radsport-Ikone Michael Teuber hart, doch der 52-Jährige blickt einfach nach vorne. "Das ist das, was ich in meinem Leben immer getan habe".
Ein Ziel: Tokio. 2020. Die Paralympics. Ein Traum: Gold. Das sechste Gold der Karriere. Und dann am weiteren Höhepunkt, vom Platz an der Sportlersonne herab, die Karriere beenden? Vielleicht. Eher nicht. Training. Schweiß, Schmerzen. Opfer. Dann der 24. März.
Alles umsonst. Covid-19, dieses 125 Nanomillimeter kleine vermaledeite Virus, zwingt Olympia – und damit auch die eng verbandelten Paralympischen Spiele – zum Kotau, zum Kniefall. Frust. Enttäuschung. Trauer. Nun sitzt Michael Teuber, der Paralympics-Superstar, bei sich daheim in Odelzhausen, statt sich im Trainingslager in Mallorca auf die Spiele vorzubereiten. "Natürlich ist es frustrierend, wenn das eine Ziel, auf das man alles ausgerichtet hat, wegfällt. Aber ich bin kein Mann, der an so etwas verzweifelt. Ich tue das, was ich in meinem Leben immer getan habe: Ich blicke nach vorne", sagt Teuber der AZ.
"Die Welt geht nicht unter, wenn es mit Gold nicht klappen sollte"
Nach Tokio. 2021. Da sollen die Spiele dann stattfinden, falls das Virus nicht seine Weltherrschaft weiter gnadenlos ausübt. Radsport-Ikone Teuber ist dann ein Jahr älter – 53. Er ist in einem Alter, in dem man sehr schnell, sehr plötzlich sehr alt werden kann. "Ich bin zum Glück in einer Ausdauersportart tätig", sagt Teuber, "da ist das Alter kein so entscheidender Faktor, meine Werte sind über die Jahre in manchen Bereichen sogar besser geworden. Aber natürlich macht es das Ganze nicht leichter. Ich will Gold in Tokio gewinnen. Aber die Welt geht davon nicht unter, wenn es nicht klappen sollte. Die Konkurrenz wird immer stärker, aber der alte Mann kann immer noch sehr gut mithalten. Ich plane jetzt halt für 2021."
Trotzdem hat ihn die Verschiebung der Spiele geärgert. Nein, nicht die Verschiebung, sondern, dass sich das IOC von der öffentlichen Meinung so unter Druck setzen ließ. Teuber ist einer der wenigen, der IOC-Präsident Thomas Bach, dem der Ruf des Zauderers anhängt, der mit pathetischen Worten die olympische Idee wie ein Flammenschwert vor sich herträgt, der aber eine teils fatale Nähe zu den Mächtigen und Allmächtigen dieser Welt in Politik und Finanzwesen auslebt, verteidigt. "Was hätte es geschadet, zwei Wochen länger alle Fakten zu sammeln? So eine weitreichende Entscheidung sollte man nicht fällen, weil es nun allgemeine Meinung ist", so Teuber, "in dieser Position hat man viele Interessen unter einen Hut zu bringen. Mir hat nicht gefallen, dass einige Athleten Stimmung gemacht und dies auch vom Wohnzimmersofa aus derart propagiert haben. Die Entscheider machen sich einen solchen Entschluss nicht leicht. Mir wurde zu viel Druck aufgebaut."
Folgenschwerer Unfall im Jahr 1987
Teuber ist einer, der es nicht erträgt, wenn er fremdbestimmt ist. War er nie, wird er nie sein.
Er hat eine eigene Meinung, einen eigenen Kopf. Dieser Kopf war immer der Schlüssel zum Erfolg. Als der Körper versagte, als ihm die Ärzte nach dem Unfall am 1. August 1987 sagten, dass er, der Freigeist, der Funsportler, der Surfpionier, der gerade zum "Jungen des Monats" von der Zeitschrift "Mädchen" gekürt worden war, sich mit seinen 19 Jahren schon mal geistig auf ein Leben im Rollstuhl vorbereiten sollte, da rebellierte dieser Kopf. "Natürlich war das ein fürchterlicher Moment, ein Tiefschlag, wie es nicht viele gibt. Es gab diese dunklen Momente, aber ich habe mich recht schnell gefangen", sagt Teuber.
Zum Surfurlaub waren er, sein bester Freund und dessen Freundin an diesem schönen Tag, der so tragisch enden sollte, unterwegs. 3.000 Kilometer nach Portugal zum Surfen sollte es gehen. In Frankreich übermannte seinen Freund der Sekundenschlaf, er kam von der Strecke ab, krachte nahezu ungebremst in ein Betonrohr. Der Freund, die Freundin standen da.
Unverletzt. Aber wo war Michael? Er war noch im Wrack eingeklemmt. "Ich spürte die Beine nicht", sagt Teuber.
Teuber: "Das Rad gab mir ein Stück Freiheit, ein Stück Normalität"
Panik. Angst. Verzweiflung. Ein Funken Hoffnung. Er kam ins Krankenhaus. Erst in Frankreich. Dann nach Murnau, dort wurde die Hoffnung mit der Diagnose Querschnittslähmung begraben. Doch Teuber spürte einen Restreflex im Oberschenkel. Wo ein Zucken, da ist Leben. Der Rollstuhl sollte nicht sein Schicksal sein. Er quälte sich. Unendliche Stunden in der Reha. Kleine Fortschritte – ja, Schritte! Nach drei Jahren war er auf den Rollstuhl nicht mehr angewiesen. Er konnte gehen – und Radl fahren. "Das Rad gab mir ein Stück Freiheit, ein Stück Normalität. Ich konnte wieder raus, konnte Sport treiben, in der Natur sein. Was das bedeutet, wenn man die Diagnose Rollstuhl bis ans Lebensende hatte, kann wahrscheinlich keiner nachvollziehen, der das nicht durchgemacht hat", sagt Teuber.
Die Freundin des Freundes, der den Unglückswagen gesteuert hatte, die selber fast ohne Kratzer aus dem Auto steigen konnte, ist heute Teubers Frau. Sie war es, die nach dem Unfall an seinem Bett saß. Im Jahr 2000 stellte er ihr nach der Besteigung des Croz Altissimo vor einer steil abfallenden Felswand die Frage der Fragen. Susanne war eine Ja-Sagerin! Sie wurde schwanger, brachte die gemeinsame Tochter zur Welt. "Das war das größte Wunder. Wenn man querschnittsgelähmt ist, sind oft nicht nur die Beine, die Darm- und Blasentätigkeit betroffen, sondern auch die Sexualfunktion. Dass wir Eltern sind, ist das Allergrößte."

Größer, unendlich viel größer als jeder sportliche Triumph. Mit so einer Vita ist die Verschiebung der Spiele nur eine (mehr oder weniger) unbedeutende Verzögerung, ein weiterer Stolperstein für einen Mann, der schon ganz andere Steine, die ihm das Schicksal in den Weg gelegt, gemeistert hat. "Jetzt bereite ich mich eben auf die Spiele 2021 vor", sagt Teuber, "ich mache weiter, solange ich Bock habe." Ein Mann, ein Ziel, ein paralympischer Träumer!
"I had a dream", sagte Martin Luther King, der unvergessene Menschenrechtler. Manchmal kann nicht nur der Glaube, sondern können auch Träume Berge aus Stolpersteinen versetzen.
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