Wie die Bayern mit Libero

Biathlon sieht so einfach aus – im Fernsehen. Den Sport wirklich auszuüben, kann dagegen ganz schön schwierig sein. Und peinlich auch. Der AZ-Reporter hat’s erfahren. Ein Selbstversuch.
von  Abendzeitung
Uschi Disl ist in Bad Tölz geboren, Gordon Repinski stammt aus Hannover. Wer dieses Bild sieht, der könnte drauf kommen.
Uschi Disl ist in Bad Tölz geboren, Gordon Repinski stammt aus Hannover. Wer dieses Bild sieht, der könnte drauf kommen. © Daniel Etter

Biathlon sieht so einfach aus – im Fernsehen. Den Sport wirklich auszuüben, kann dagegen ganz schön schwierig sein. Und peinlich auch. Der AZ-Reporter hat’s erfahren. Ein Selbstversuch.

Fünfzig Meter trennen mich vom Volltreffer. Ich liege am Boden, setze das Gewehr an, drücke es an die Schulter. Durch die winzige Öffnung über dem Lauf sehe ich mein Ziel. 11,5 Zentimeter Durchmesser hat es. Eine kleine Scheibe, schwarz in der Mitte, weiß umrandet. Schuss! Treffer! Biathlon – der erste Teil ist erledigt.

Aber eben nur der erste. Heute bestreite ich mit 13 Mitbewerbern eine Biathlon-Staffel auf der Strecke am Arbersee. Ein Kilometer Langlauf, zwei Runden schießen. Sieben Teams, je zwei Teilnehmer. Manche können schon schießen, andere Ski fahren. Ich kann eigentlich nichts: Ich stamme aus Hannover, 50 Meter über dem Meeresspiegel. Zum Glück habe ich einen Profi an meiner Seite, der mir alles Versäumte in ein paar Stunden beibringen wird. Es ist Uschi Disl. 28 Weltcup-Siege, neun olympische Medaillen, acht Weltmeistertitel. Die Beste von allen.

Jetzt soll sie mich zum Erfolg führen. Oder wenigstens vor einer Blamage bewahren. „Los geht's, eine Aufwärmrunde", ruft Uschi. Die Runde erscheint mir unendlich. Norddeutsche tun sich manchmal etwas schwer mit Skiern.

Ich habe vor dem Start des Wettbewerbs genau eine Stunde Zeit, mich an all die neuen Dinge zu gewöhnen. Die Langlaufskier, die ich einmal, in der siebten Klasse des Landschulheims, gefahren bin. An die Lauftechnik, den Skating-Schritt, an die Strecke, an die Position beim liegend Schießen. Zudem an das Gewehr, den Ladevorgang, die Technik. Alles in einer Stunde.

Uschi ermahnt mich bei meinen ersten Laufversuchen: „Mach den Skating-Schritt, stell die Beine in die V-Stellung.“ Ich versuche es. Aber wenn ich es tue, laufen meine Beine entweder vorm Körper auseinander und ich lande wie eine Ballerina im Spagat – oder die Skier überkreuzen sich hinter mir. Ich verlasse mich auf meine Armkraft, verzichte auf alles neumodische Zeug wie den V-Schritt. Es ist so, als wenn sich der FC Bayern entschließt, wieder mit Klaus Augenthaler als Libero zu spielen.

Vor dem Start ist die Taktik klar: Aus dem Oberkörper schieben, auf meine Partnerin hoffen, mit Würde untergehen. Immerhin habe ich gut geschossen. Vielleicht gelingt mir das auch wieder im Rennen. Meine Partnerin heißt Jutta, sie kommt aus Nürnberg. Jutta läuft tapfer los und kommt mit hoffnungslosem Abstand als Drittletzte zur Übergabe. Nürnberg ist also auch irgendwie norddeutsch.

Ich hetze los, immerhin sind noch zwei Frauen hinter mir. Die werden mir nichts anhaben können, denke ich. Da höre ich hinter mir schon Skier heran rauschen. Das gibt’s ja nicht! In der ersten Kurve spüre ich bereits den Atem meiner Konkurrentin. Ich werde nervös, meine Beine wackeln noch mehr als vorher. In einem Formel-1-Rennen würde man mir jetzt wohl die blaue Fahne zeigen: Ich soll überholen lassen. Ist aber gar nicht nötig: Im nächsten Moment lande ich auf dem Hintern. Peinlich. Und bevor ich das erste Mal den Schießstand erreiche, werde ich auch von der bis dahin Letzten überholt. Schon bald sehe ich niemanden mehr vor mir. Ich verliere den Glauben an die Gerechtigkeit im Sport.

Einsam drehe ich meine Runden auf dem Parcours. Viele Sportpersönlichkeiten schießen mir nun durch den Kopf, die beim Wintersport nichts zu suchen hatten. Eddie the Eagle, der Spinner auf der Sprungschanze. Oder die Jamaikaner im Bob. Und jetzt ich? Gordon beim Biathlon? Bin ich wenigstens auch ein Sympathieträger? Ich blicke dorthin, wo bei Wettkämpfen die Zuschauer stehen. Dort steht Jutta und ruft ab und zu gequält meinen Namen. Die Zuschauer interessieren sich eher für Uschi Disl als für mich. Obwohl ich stolpere wie die Jamaikaner und doof aussehe wie Eddie the Eagle.

„Komm schon, gib alles", ruft Uschi von draußen rein. Ich sehe auf einmal, dass vor mir eine Konkurrentin zwei Strafrunden laufen muss. Das ist das Tolle am Biathlon. Alles kann sich so schnell drehen, wenn jemand daneben schießt. Jetzt wendet sich das Blatt: Eine halbe Runde vor Schluss kann ich auf einmal wieder heran kommen. Wenigstens nicht Letzter werden. Meine Ehre retten. Ich begebe mich in die altbekannte Stellung. Beine durchdrücken und stillhalten, Blick nach vorn. Schieben und hoffen, dass die Skier nicht verkanten. Jetzt habe ich den Tunnelblick. Noch gut hundert Meter und ich fliege an den sechsten Platz heran. Ich komme näher – und scheitere knapp! Es bleibt der letzte Platz. Sechs Sekunden haben mir gefehlt. Im echten Biathlon eine Ewigkeit, bei meiner Zeit von 10 Minuten und 50 Sekunden finde ich es knapp.

Uschi tröstet mich und gratuliert mir trotzdem. Und eigentlich bin ich ja auch ein Gewinner: Ich habe mir immerhin nichts gebrochen. Gordon Repinski

Wer selbst mal einen Biathlon laufen und von Uschi Disl trainiert werden möchte: Infos unter www.meventi.de

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.