Wider die Depression

LONDON - Schüttlers Auferstehung in Wimbledon: Hier erklärt sie sein Trainer, Manager und Freund.Ein AZ-Interview mit Dirk Hordorff.
AZ: Herr Hordorff, Sie sind Rainer Schüttlers Berater, Trainer, Manager und Freund. Was bedeuten diese Siege, dieser Viertelfinaleinzug für Rainer Schüttler, der mit 32 doch schon im fortgeschrittenen Tennis-Alter ist?
DIRK HORDORFF: Jeder, der ihm in die Augen geschaut hat nach dem Sieg gegen Tipsarevic, der hat dieses Strahlen gesehen. Diese Genugtuung, diese Erleichterung. Da ist viel Ballast abgefallen. Aber es gibt auch keinen, der sich das mehr verdient hätte als er.
Können Sie das erläutern?
Weil ich weiß, welche schweren Momente er hatte. Die Verletzungen, all diese Enttäuschungen, die andere vielleicht mit Resignation oder sogar mit einem Rücktritt beantwortet hätten. Er hat in mancher Saison die Arztpraxen besser gekannt als die Courts.
Gab es nie Überlegungen, aufzuhören? In den Jahren, in denen es serienweise diese Erstrundenniederlagen gab?
Es gab dunkle Stunden. Sehr dunkle sogar. Voller Frust und Enttäuschung und Depression. Aber Rainer liebt und lebt Tennis zu sehr, um sich davon niederreißen zu lassen.
Aus der Erfahrung vieler Jahre: Was zeichnet Schüttler am ehesten aus?
Dass die Arbeit mit ihm so eine Freude macht, hat mit seinem wunderbaren Charakter zu tun. In der Schule würde man wohl sagen: Tadellos. Er ist in diesem Geschäft, das die Leute verbiegen kann, immer geradlinig geblieben. Irgendwie ein Fels in der Brandung.
Manche sagten, Schüttler sei zu gut für dieses Geschäft.
Nein, es hat ihm nie geschadet, ein anständiger Kerl zu sein. Sonst dürfte auch ein Federer nicht da vorne stehen. Rainer ist bodenständig und hilfsbereit, ohne dass er ein Riesentrara machen würde.
Schüttler hat selbst einmal gesagt, er wundere sich über seine Karriere, über den Weg aus dem kleinen Korbach ins große Tennis-Business. Natürlich ist Glück dabei.
Aber man braucht eine Menge Talent, hohe Spielintelligenz und diese Willensstärke, um so etwas zu schaffen.
Auch in seinen besten Zeiten war Schüttler immer sein größter Kritiker.
Du kannst nicht alles haben. Südamerikanisches Temperament und deutsche Gewissenhaftigkeit, südländische Leichtigkeit und deutschen Fleiß - das geht nicht. Rainer ist nun mal ein Perfektionist. Deshalb gab es bei ihm immer diese Siege mit Unzufriedenheit.
Hat er das Beste aus seiner Karriere gemacht?
Sehr nahe am Limit. Er stand in einem Grand-Slam-Endspiel, war die Nummer 5 der Welt, hat 2003 eine der größten Spielzeiten hingelegt, die je ein deutscher Profi hatte. Auch wenn nicht alles glatt lief in den letzten Jahren. Das Problem war eigentlich seine Unermüdlichkeit: Er hat sich nicht zurücklehnen und durchatmen können.
Was haben Sie ihm eigentlich zugetraut, als Sie Anfang der 90er Jahre ihre Zusammenarbeit begannen?
Rainer hatte eine starke koordinative Fähigkeit, flinke Beine und großes Ballgefühl. Am meisten hat mich seine Qualität begeistert, intuitiv Matchsituationen zu erfassen. Dazu kam von der ersten Minute an sein eiserner Wille. Er ist keiner, den man zum Training jagen muss. Er kommt fünf Minuten zu früh - nicht fünf Minuten zu spät.
Spüren Sie jetzt eine größere Genugtuung über den Erfolg als vor fünf Jahren?
Ja. Weil Wimbledon nach wie vor das Nonplusultra im Tennis ist. Ich habe hier selbst als 15-Jähriger gespielt und die Faszination dieses besonderen Fleckchen Erdes erlebt. Und weil es ein neuer Durchbruch nach so vielen Enttäuschungen und Verletzungen ist. Diese Siege können wir beide doppelt genießen. Hier wird gerade ein Traum wahr.
Interview: Jörg Allmeroth