Weltmeisterin ein Mann? Mit Goldmedaille zum Geschlechts-Test

Ist die neue Weltmeisterin ein Betrüger? Oder weiß sie selbst nicht, dass sie ein Mann ist? In Südafrika ist Semenya eine Heldin: Neid sei der einzige Grund für die Vorwürfe, sagen Verwandte
von  Abendzeitung
Frau oder Mann? Caster Semenya (r.)
Frau oder Mann? Caster Semenya (r.) © dpa

BERLIN - Ist die neue Weltmeisterin ein Betrüger? Oder weiß sie selbst nicht, dass sie ein Mann ist? In Südafrika ist Semenya eine Heldin: Neid sei der einzige Grund für die Vorwürfe, sagen Verwandte

Keiner kommt, um ihr zu gratulieren. Dabei hat Caster Semenya gerade eine Sensation geschafft: Aus dem Nichts ist die 18-Jährige am vergangenen Mittwoch Weltmeisterin im 800-Meter-Lauf geworden. Ihre Konkurrentinnen hat sie deklassiert: 1 Minute, 55 Sekunden und 45 Hundertstel hat sie gebraucht, die Zweite schnauft erst über zweieinhalb Sekunden nach ihr ins Ziel.

Doch als sich Caster Semenya die Südafrika-Flagge hüllt und ihre Ehrenrunde läuft, überfällt auch viele Zuschauer vor dem Fernseher ein flaues Gefühl: Ihre Bauchmuskeln sind zum imposanten Sixpack gespannt. Ihre Oberarme machen jeden Bodybuilder neidisch. Und dann erst die flache Brust, die schmalen Hüften, die harten Gesichtszüge und die raspelkurzen Haare. „Für mich ist sie keine Frau“, sagte die Italienerin Elisa Piccione, die Sechste im Rennen.

Ist Caster Semenya ein Mann? Die Südafrikanerin muss sich jetzt einem aufwändigen Geschlechtstest unterziehen (siehe Infokasten). Das hat der Leichtathletik-Weltverband IAAF verfügt. Es wird für möglich gehalten, dass nicht nur viele ihrer körperlichen Merkmale männlich sind, sondern auch ihre Gene.

Die Empörung in ihrer Heimat ist groß: Demonstrativ gratulierte das südafrikanische Frauenministerium der Weltmeisterin zu ihrem Titel. Ihre Mutter sagte der Zeitung „Star“: „Ich sorge mich nicht, denn ich weiß, dass mein Kind ein Mädchen ist.“ In Südafrika ist Semenya eine Heldin, die sich aus einem armen Dorf erst zur Sportstudentin und jetzt zur Weltmeisterin hochgearbeitet hat. Dass Semenya wegen ihre jungenhaften Aussehens und ihrer dunklen Stimme in ihrem Dorf gehänselt wurde, dass sie immer nur mit Jungs rumhing und Fußball spielte und dass sie kein Interesse an einem Freund hatte, wird in Südafrika als unwichtig abgetan.

Und anderswo? „Wir gehen diskret und sensibel mit dem Fall um“, sagt der IAAF-Sprecher Nick Davies. Er weiß: Es könnte sein, dass die heftigen Zweifel unbegründet sind und dass nur der Neid der Konkurrentinnen auf den neuen Star der Auslöser für die Untersuchung war.

Möglich ist auch, dass sich der Fall als Doping-Skandal entpuppt: Semenya könnte sich mit männlichen Hormonen gedopt haben. Schließlich hatte sie für ihre 800 Meter im vergangenen Jahr noch 16 Sekunden länger gebraucht.

Es könnte auch sein, dass der Geschlechts-Test Semenya als den Betrüger entlarvt, der sich als Frau ausgab. Möglich ist aber auch, dass Semenya unbewusst unter dem AIS-Syndrom leidet, dem „Androgen Insuffienz Syndrom“.

Normalerweise haben Frauen zwei X-Chromosomen in ihren Zellen, Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Manche mit Y-Chromosomen geborenen Menschen entwickeln körperliche Merkmale einer Frau - und sind trotzdem vom Erbmaterial her ein Mann. Obwohl sie eine Vagina haben.

Das weibliche Östradiol wird im Körper der Frau aus Testosteron gebildet. Ist das Enzym, das die Umwandlung ermöglicht defekt, kann eine genetische Frau sehr maskulin erscheinen. Umgekehrt kann ein Mann, der nicht genug Testosteron produziert oder dessen Testosteron nicht wirkt, sehr feminin erscheinen. Dann liegt AIS vor. Es könne sein, dass Semenya nichts über ihr wahres Geschlecht weiß, sagt Patrick Diel. „Ihre Sportärzte müssten es aber wissen oder zumindest vermuten. In Industrienationen wie Deutschland wäre es unvorstellbar, dass das Syndrom unentdeckt bliebe.“

Volker ter Haseborg

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