Weiterfahren, immer weiterfahren!
MÜNCHEN - Das Adrenalin hat Michael Schumacher wieder. Der Rekordweltmeister grübelt, ob er trotz seiner Verletzung wieder Formel 1 fahren soll. Er wäre nicht der erste Rennfahrer, der’s nicht lassen kann
Michael Schumacher schien wirklich Gefallen gefunden zu haben an seinem Formel-1-freien Leben. Am gemeinsamen Frühstück mit der Familie, am Zigarillo-Rauchen, an den nächtlichen Pokerrunden mit den Kumpels. Schumacher schien mit sich im Reinen. Er schien, in diesen drei Jahren, die Sucht nach Adrenalin im Griff zu haben.
Wahrscheinlich wäre er es geblieben, wenn sein Freund Felipe Massa nicht verunglückt wäre in Budapest, wenn Ferrari und die Formel 1 ihn nicht zu Hilfe gerufen hätten, wenn er sich nicht nochmal ins enge Cockpit gezwängt hätte. Doch die wenigen Testrunden im zwei Jahre alten Ferrari und die Schmach, wegen seines maladen Nackens nun doch aufs kurzfristige Comeback verzichten zu müssen, genügten schon, um die alte Sucht wieder ausbrechen zu lassen.
Schumacher hat in den letzten 14 Tagen wieder gemerkt, wofür er geschaffen ist. „Ich springe aus Flugzeugen, ich fahre Formel 1, ich fahre Motorrad - das bin ich“, sagte er am Mittwoch. Ich bin zwar zurückgetreten, aber als Rennfahrer hatte ich mich für einen Moment wie zurück im Leben gefühlt“, hatte Schumacher erklärt.
Das Adrenalin hat ihn wieder. So sehr, dass es niemanden mehr wundern würde, wenn er nach überstandener Verletzung – in einem Monat in Monza? – doch wieder im Auto sitzen würde. „Der Hunger auf Wettbewerb, diese Sucht nach Adrenalin, stirbt nie.
Das ist unsere DNA“, hat Formel-1-Legende Niki Lauda einmal erklärt, selbst auch ein Experte in Sachen Comeback. 1976 überlebte er den Feuerunfall am Nürburgring nur wie durch ein Wunder. Doch drei Wochen später saß Lauda wieder im Ferrari. Die teilweise noch offenen Wunden färbten die Verbände um den Kopf rot. Lauda tat so, als ob nichts geschehen wäre. 1979 entschloss sich Lauda spontan zurückzutreten. „Ich hatte keine Lust mehr, ständig im Kreis zu fahren“, sagte er und flüchtete von der Rennstrecke. Vier Jahre später fuhr er wieder im Kreis. „Ich wollte meine Geilheit befriedigen und bin dann ja auch noch 1984 Weltmeister geworden“, erinnert er sich.
Einmal Rennfahrer, immer Rennfahrer. Weiterfahren, immer weiterfahren. Das merkt gerade auch Schumacher. Und das befiel vor ihm und Lauda schon einige andere. Mika Häkkinen, etwa, der 2001 als zweimaliger Weltmeister zurücktrat, aber irgendwann keine Lust mehr hatte, „nur den Geschirrspüler auszuräumen“. Häkkinen bekam ein Cockpit in der DTM, gewann gleich sein erstes Rennen.
Oder Alessandro Zanardi. Der Italiener war zweimaliger Indycar-Meister und Ex-Formel-1-Fahrer, als er 2001 bei einem Horrorunfall am Lausitzring beide Beine verlor. Er akzeptierte diesen Schicksalsschlag mit bewundernswerter Sanftmut, lernte mit Prothesen zu laufen – und Auto zu fahren. Zwei Jahre nach dem Unfall saß er wieder im Rennwagen.
„Ich akzeptiere den Zustand, in dem ich jetzt lebe“, sagte er, „aber vielleicht schaffe ich es eines Tages, wieder mit meinen Füßen ein Auto zu bedienen. Ich habe immer noch die Leidenschaft. Mir fehlt der Benzingeruch, die Geschwindigkeit, die Momente, in denen man das Adrenalin spürt“, sagte er.
Wieder zwei Jahre später war es soweit: In einem umgebauten BMW nimmt er seitdem an der Tourenwagen-Weltmeisterschaft teil – und hat dort tatsächlich auch schon Rennen gewonnen. Schumacher bezeichnete Zanardi einst übrigens mal als Vorbild.
Filippo Cataldo