Weidle im AZ-Interview: "Medaille der Beweis, dass ich da oben hingehöre"

AZ: Frau Weidle, nachträglich nochmal herzlichen Glückwunsch! Nicht nur zur Silbermedaille, auch zum Geburtstag kurz danach. Wie anders geht es Ihnen mit 25 und einer WM-Medaille?
KIRA WEIDLE: Stressig ist es. Viele Termine, plötzlich kommen Sponsoren auf einen zu, haben mitbekommen, dass ich bislang ohne Kopfsponsor unterwegs war. Insofern ist gerade viel zu tun, aber dennoch genieße ich den Moment. Es wird auch wieder andere Zeiten geben, wo man nicht so im Fokus steht.
Weidle hatte das ganze Jahr mit Verletzungen zu kämpfen
Seit fünf Jahren fahren Sie im Weltcup, waren 14 Mal in den Top Ten, aber so gut wie in Cortina lief es noch nie. Was haben Sie auf der Tofana anders gemacht?
Nicht viel. Es war ja kein perfekter Lauf. Ich hatte die ganze Saison mit Verletzungen zu kämpfen: am Daumen, am Unterschenkel. Irgendwas hat mich immer daran gehindert, meine Leistung abzurufen - was mich natürlich immer genervt hat. Insofern war es ziemlich cooles Timing, dass es genau bei der WM doch noch gepasst hat, dass ich die Rennen davor ausblenden konnte. Ich habe mir gesagt: ‚Dir steht überhaupt nichts im Weg, eine Medaille zu holen!'
Ihr Erfolg war ähnlich überfällig wie der von Andreas Sander: seit Jahren nah dran, aber nie ganz vorn dabei. Und dann gehen beide Knoten gleichzeitig auf.
Das war supercool! Auch für das ganze Team eine gute Erfahrung, nachdem wir ja bis auf Vicky und Felix eine ganz schöne Durststrecke in den letzten Jahren hatten. Und jetzt vier verschiedene Medaillen: Das war schon ein ganz schönes Ausrufezeichen. Das motiviert auch die Kids. Bei mir hat der ganze Skiklub mitgefiebert: Schön zu sehen, was für eine Wirkung so eine Medaille hat.
"Vielleicht war das ein Vorteil, dass ich nicht zu den Top-Favoritinnen gehörte"
Nach zwei dritten Plätzen und Rang fünf im Abfahrts-Weltcup 2018/19 schien es eine Frage der Zeit zu sein, bis Sie ganz oben landen - stattdessen ging's bergab. Wie sind Sie mit dem Erwartungsdruck umgegangen, dem von außen und dem eigenen?
Das ist genau der Punkt: Prinzipiell habe ich selber Erwartungen an mich, denen ich gerecht werden will. Die decken sich meistens mit denen der Öffentlichkeit. Wobei ich schon manchmal denke: ‚Entspannt euch mal!" Beim Rennen im Fassatal hat's mich fast geärgert, da hieß es irgendwo: ‚Weidle nur Vierte'. Aber so eine gute Saison wie 2018/19 zu bestätigen, ist schon eine Nummer. Ich bin ein paar Mal in die Top Ten gefahren, war aber nicht so konstant. Für diese Saison war ganz klar das Ziel: Wieder aufs Stockerl fahren! Aber dieser 13. Februar war schon der Tag X für mich, und diese Punktlandung geschafft zu haben, hat mir sehr viel bedeutet. Vor zwei Jahren bin ich als Mit-Favoritin zur WM gefahren - es wurde eine absolute Nullnummer. Vielleicht war das heuer ein Vorteil, dass ich nicht zu den Top-Favoritinnen gehörte. Das wäre nochmal ein anderer Druck gewesen, ich wäre sicher nicht so entspannt gewesen. Und die Medaille von Romed zuvor hat auch von Druck befreit.
Arbeiten Skifahrer mit Mentaltrainern, oder macht das jeder mit sich aus?
Unterschiedlich. Bei mir ist es teils, teils. Aber das ist ein Thema, das ich in diesem Jahr mehr angehen möchte, vor allem wegen des Themas Super G.
WM-Silber-Medaille in Cortina war für Weidle ein Befreiungsschlag
Ist diese Medaille eine Befreiung, eine Last, die Sie endlich los sind? Stehen Sie nun anders am Start?
Schon ein bisschen. Das Thema Podest und es allen beweisen wollen, dass man zur Weltspitze gehört, ist mit der WM-Medaille weggefallen. Das war Beweis genug, dass ich gut Skifahren kann, dass ich auch da oben hingehöre. Ein Befreiungsschlag. Mit so einer Medaille im Rücken fällt ein Weltcuprennen schon leichter.

Prompt sind Sie im Fassatal Dritte und Vierte in der Abfahrt geworden, was auch Martina Ertl gefreut hat, mit der Sie ab und an im Austausch sind. Wie kam der Kontakt zustande?
Sie war in den letzten drei Jahren bei ein paar Lehrgängen dabei, war eine super erfolgreiche Athletin, hat wahnsinnig viel Erfahrung, wie man mit verschiedenen Situationen umgeht. Da kann sie extrem viel weitergeben, was sie auch gern tut.
Weidles größte Ski-Schwachstelle: Der Super G
Der Umgang mit Verletzungen gehört sicher auch dazu. Sie wurden mitten in der Saison am Daumen operiert, was Sie nicht daran gehindert hat, bald darauf wieder mit 120 über Eis zu donnern. Wie blenden Sie die Sturzgefahr aus?
So ganz beweglich ist der Daumen immer noch nicht. Das hat mich zunächst auch stark beeinträchtigt: Beim Anschieben oder wenn die Außenhand Druck auf den Stock ausüben will, aber nicht kann…Der Stock war ja nur rangetapt. Das sind ganz schöne Störfaktoren. Man unterschätzt das. Bei der WM konnte ich dann erstmals statt mit Fäustlingen und Protektor wieder mit normalen Handschuhen fahren.
Sie haben den Super G angesprochen: Obwohl Sie Ihren allerersten im zarten Alter von 15 gleich gewonnen haben, flutscht es da noch nicht so richtig. Warum?
Das ist noch ein Rätsel, da tappen wir noch im Dunkeln. Im Training hätte ich es schon drauf, ich bin nicht von Grund auf langsam im Super G, aber irgendwie fehlt die Umsetzung im Rennen. Mal sind es blöde Fehler, mal fahre ich zu rund. Dieser schmale Grat zwischen Angreifen und trotzdem Durchkommen fällt mir im Rennen noch schwer. Skitechnisch hab' ich's drauf, da heißt es einfach noch geduldig sein.
"Eine olympische Medaille ist eins der obersten Ziele und Träume"
2022 findet Winter-Olympia in China statt. Wie groß ist Ihre Vorfreude?
Leider hat Ski alpin in den asiatischen Ländern eine sehr geringe Bedeutung und geht ein bisschen unter. Sehr schade, wenn beim weltgrößten Sportereignis so wenig Zuschauer da sind, dann verliert es für einen selber auch an Bedeutung. Nichtsdestotrotz ist eine olympische Medaille eins der obersten Ziele und Träume, die ich habe. Mit der WM-Medaille hat man gesehen, was möglich ist. Es ist nicht nur ein Traum, der irgendwann mal Realität sein könnte, sondern auch nächstes Jahr ein ganz akutes Ziel.
Die Medaille: Wo ist der Silberling von Cortina? Immer dabei oder daheim?
Vorletzte Woche hatte ich sie noch im Auto - und ganz schnell Ärger bekommen, dass man so eine Medaille nicht im Auto lässt. Jetzt ist sie daheim und wartet darauf, dass sie einen speziellen Platz bekommt. Nach der Saison werde ich mich um sie gut kümmern.