Wege aus der Verkrampfung

Fabian Hambüchen war 2007 Sportler des Jahres. 2008 wollte er Olympiasieger werden. Am Ende blieb in Peking nur Bronze und die Erkenntnis, dass am Sonntag ein Gewichtheber sein Nachfolger wird.
AZ: Und, Herr Hambüchen, wer wird’s diesmal?
FABIAN HAMBÜCHEN: Schwer zu sagen. Ich tippe mal auf den Gewichtheber.
Sie glauben also, Matthias Steiner wird Sie am Sonntag als Sportler des Jahres beerben?
Das denke ich, ja. Es gibt da ja noch einige andere Kandidaten, die in der Verlosung sind. Jan Frodeno etwa, der Triathlet. Benjamin Kleibrink, der Fechter oder Judoka Ole Bischof. Das sind für mich die Favoriten. Sind ja auch alles Olympiasieger.
Anders als Sie.
Richtig. Deswegen gehe ich auch davon aus, dass ich meinen Titel nicht verteidigen werde. In einem Jahr, wo Olympische Spiele sind, reicht Bronze nicht aus, um die Wahl zu gewinnen.
Tut Bronze da noch einmal besonders weh?
Nein, gar nicht. Ich habe Peking größtenteils abgehakt. Es gibt Momente, da geht mir natürlich nochmal alles durch den Kopf. Warum es dann doch nichts wurde mit Gold.
Und zu welchem Ergebnis kommen Sie?
Dass es nicht meine Spiele waren. Ich war zu verkrampft, ich hatte nur an Gold gedacht. Ich bin viel zu viel um mich selbst gekreist, die Erwartung, die ich an mich selbst hatte, war viel zu groß. Früher bin ich immer ganz locker an Wettkämpfe rangegangen, auch als ich im letzten Jahr in Stuttgart Weltmeister wurde. In Peking war das alles weg. Ich stand völlig neben mir, habe nur noch an Gold gedacht und sonst an nichts anderes. Das war vielleicht der größte Fehler.
Waren Sie dem Druck nicht gewachsen?
Der Druck ist bei mir doch immer da, nur vielleicht war der Druck, den ich mir selbst gemacht hatte, zu groß. Vielleicht hätte ich mich freier machen sollen, wie viele andere Sportler auch mehr das Leben im Olympischen Dorf genießen sollen. Stattdessen war ich halt nur auf Gold fixiert und habe mir keine große Ablenkung erlaubt. Und bisher hat das ja auch meistens funktioniert. Es war alles verdammt harte Arbeit, aber es lief einfach irgendwie, Europameister, Weltmeister, es ging immer weiter nach oben. Da ist doch klar, dass du dir denkst, jetzt wirst du auch Olympiasieger.
Lief es vielleicht zu leicht? Der frühere Spitzenturner Eberhard Gienger hat gemeint, Sie hätten viel gewonnen in Peking. Nämlich die Erfahrung, auch das Verlieren zu lernen.
Da mag er Recht haben. Und allein diese Erfahrung bringt mich sehr viel weiter. Es ist schade, aber nicht zu ändern.
In Peking haben Sie die Medaille um ihren Hals angeschaut wie einen hässlichen Fremdkörper, der nicht zu Ihnen passt.
Da war die Enttäuschung einfach zu groß. Ich musste danach raus, weg, abschalten, das ist mir auch ganz gut gelungen. Zwei Wochen Urlaub, wo ich mich über mich selbst gewundert hatte. Da habe ich gemerkt, ich hatte einfach die falsche Einstellung, weil ich nur auf Gold ausgerichtet war. Diese Erkenntnis tat mir auch gut. Und nach dem Urlaub hatte ich wieder Spaß am Turnen. Ich hatte wieder Lust darauf, vor Publikum zu turnen. Und dass es funktioniert, hat man ja an meinem Weltrekord gesehen, den ich Ende November geturnt hatte.
War das so geplant?
Gar nicht. Das war beim Einturnen, als mein Vater plötzlich meinte, ob ich in meiner Reckübung, die sowieso schon schwer war, nicht auch den Pineda turnen will.
Den wen?
Pineda. Das war ein Mexikaner in den Achtziger Jahren, der hat diese Figur das erste Mal geturnt. Ein gebückter Doppelsalto mit ganzer Schraube über die Reckstange.
Klingt ziemlich kompliziert.
Ist er auch. Weil es eine Übung mit so vielen schwierigen Elementen auch noch nie gab, war das dann sozusagen ein Weltrekord.
Ohne Ihren Vater wären Sie da nicht draufgekommen?
An dem Tag wohl eher nicht.
Der Familienclan Hambüchen scheint ja unzertrennbar. Der Papa ist Ihr Trainer, die Mama sorgt dafür, dass daheim alles stimmt, der Onkel ist der Psychologe. Wird Ihnen das nicht zu eng?
Nein, das ist genau das Umfeld, das ich brauche, in dem ich mich wohl fühle. Und wenn es mal Reibereien und Meinungsverschiedenheiten gibt, wo gibt es die bitte nicht. Ist doch ganz normal.
Und doch scheint es, als wollten Sie sich abnabeln. Sie sprachen davon, daheim auszuziehen.
Ja, das steht jetzt an, aber ich bin jetzt 21, das machen doch viele in meinem Alter. Ich möchte jetzt mit meiner Freundin zusammen wohnen. Und so weit weg ziehen wir ja auch nicht, wir suchen uns etwas bei uns in der Gegend, da habe ich nicht weit zum Training. Dann werde ich im Frühjahr anfangen zu studieren, ein Fernstudium für Sportmanagement. Darauf Freude ich mich schon sehr, ich denke, da kann ich meinen Horizont nochmal erweitern, und abgesehen davon kann ich mir etwas aufbauen für das Leben nach dem Turnen.
Interview: Florian Kinast