Wachablösung in SW 19

Nach fünf Triumphen in Serie unterliegt Roger Federer im Wimbledon-Finale dem grandiosen Rafael Nadal (22). Der feiert den „schönsten Moment meines Lebens“. Dem vorausgegangen war ein Tennisspiel, das Sportgeschichte schrieb.
von  Abendzeitung
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LONDON - Nach fünf Triumphen in Serie unterliegt Roger Federer im Wimbledon-Finale dem grandiosen Rafael Nadal (22). Der feiert den „schönsten Moment meines Lebens“. Dem vorausgegangen war ein Tennisspiel, das Sportgeschichte schrieb.

Wenn Rafael Nadal in den beiden letzten Wochen aus seiner gemieten Luxusvilla herausschaute, dann hatte er ihn morgens, mittags und abends immer im Blick: Den berühmtesten Centre Court der Welt in Wimbledon, den Garten Eden für jeden Tennisspieler. Seit gestern Abend, seit genau 21.16 Uhr Ortszeit, ist der Matador aus Mallorca nun der neue, der stolze und verdiente Pächter des grünen Paradieses, der Mann, der die Machtverhältnisse im Wanderzirkus dramatisch umgewälzt hat - der Mann, der mit seiner ungestümen Leidenschaft, seiner Kraft und Power demonstrierte, dass auch die Herrlichkeit eines genialen Maestros wie Roger Federer keine Ewigkeit währt. In London SW 19 fand gestern die Wachablösung statt.

„Das ist der größte,der schönste Moment meines Lebens“, sagte der in Tränen aufgelöste neue Champion, der die fünfjährige Dominanz des Schweizers mit einem 6:4, 6:4, 6:7 (5:7), 6:7 (8:10), 9:7-Endspielsieg beendet hatte, in einem vier Stunden und 48 Minuten reine Spielzeit dauernden Finale, das immer wieder von Regen unterbrochen wurde.

Das längste Finale in der Wimbledon-Geschichte, ein Spiel, das Tennis-Geschichte und Sportgeschichte schrieb.

So viele dramatische Begegnungen hatten die beiden gegeneinander schon absolviert. Gestern erschienen die bisherigen Klassiker fast langweilig gegen das, was sich da unten abspielte auf dem Rasen von Wimbledon.

Wie vom Blitz gefällt, war der Spanier nach dem verwandelten Matchball in die Knie gegangen, ganz unten am Boden zwar, doch gleichzeitig obenauf, auf dem Tennis-Gipfel. Dann stürmte er hoch in die Loge zu seiner Familie, herzte und umarmte seine Liebsten. Während Roger Federer schweigend und gezeichnet auf seinem Stuhl saß, weil sein Traum geplatzt war, als erster Spieler in der modernen Tennisära ein halbes Dutzend Wimbledon-Erfolge aneinander zu reihen und damit den legendären Björn Borg zu übertrumpfen, der von 1976 bis 1980 mit eiskalter Brillanz in Wimbledon regiert hatte.

44 Jahre hatten Spaniens Fußballer bis zum vorletzten Sonntag gebraucht, um endlich wieder zum großen Schlag auf internationaler Bühne auszuholen. 42 Jahre seit dem Sieg von Manuel Santana dauerte es, bis mit Nadal nun wieder einer der lange Jahre nur aufs Sandplatztennis fixierten Spanier in Wimbledon beim Königsturnier triumphierte - an einem Schauplatz, den selbst Superstars von der Iberischen Halbinsel in der jüngeren Vergangenheit mieden wie der Teufel das Weihwasser. „Dieses Turnier zu gewinnen, war schon immer mein größter Traum", sagte Nadal, „es war mir noch wichtiger als die French Open."

Nach dem Coup in einem regnerischen, windigen Glücksspiel unter freiem Himmel, nach einer Centre Court-Lotterie im Sturm über South West 19 war Nadal nun zwar noch immer nicht die offizielle, aber doch die gefühlte Nummer eins der Welt. Immerhin hatte der 22-jährige Tennispirat als erster Profi seit Borg (1978, 1979 und 1980) das magische Double geschafft, den Sieg erst bei den French Open und dann, genau vier Wochen später, in Wimbledon - ein Double, das zu den anspruchsvollsten Kunststücken im gesamten Sport zählt. „Nadal ist schon ein unglaublicher Spieler. Er hat so schnell gelernt, sich auf Rasen zu Hause zu fühlen, das ist phänomenal", sagte Borg, der als Ehrengast in der Royal Box saß. So schnell ändern sich die Zeiten: Noch im vergangenen Jahr hatte der Schwede dem Weltranglisten-Ersten Federer gratuliert, nachdem der die Borg-Bestmarke von fünf Siegen in Serie egalisiert hatte.

So souverän hatte Nadal die ersten beiden Sätze gewonnen, erst im dritten Satz zeigte Nadal erstmals nicht diese Entschlossenheit. Beim Stande von 3:3 und 0:40 ließ er drei Breakchancen nacheinander aus und hätte sich mit dem vorentscheidenden 4:3 wohl auch die einstündige Regenunterbrechung und alles weitere Drama erspart, das nach Federers gewonnenem Tiebreak fällig wurde. Schlimmer wurde es für den Spanier dann noch im nächsten Tiebreak-Glücksspiel, in dem er bei 7:6 und bei 8:7 die beiden ersten Matchbälle vergab. Bei 8:7 knallte ihm Federer aus schier aussichtsloser Situation den Ball noch longline ins Feld - ein Wunderschlag gegen die Abdankung als König von Wimbledon.

Im fünften Satz musste Nadal ständig die Rückstände gegen Federer ausgleichen, der zuerst serviert hatte. Beim 4:5 hielt er die Nerven, wehrte sich gegen den drohenden Matchverlust, glich zum 5:5 aus, hatte selbst zwei Breakbälle zum 6:5, vergab sie aber. Noch einmal ließ er zunächst bei 7:7 drei Breakbälle, ehe ihm doch der Durchbruch zum 8:7 gelang. Danach ließ sich der Mallorquiner den Sieg nicht mehr nehmen, auch wenn er noch einmal einen Siegpunkt ausließ. Dann machte er den entscheidenden Punkt und sank zu Boden.

Federer gratulierte fair und meinte anschließend nur: „Rafael ist einfach mein schlimmster Gegner.“ Für die neutralen Zuschauer war es gar nicht schlimm. Es war wundervoll, das packendste Finale in der Geschichte von Wimbledon.

Jörg Allmeroth

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