Vorbild Österreich

Die Tournee gerät (fast) zu einer nationalen Meisterschaft. Deutsche fliegen hinterher – und wollen das Erfolgssystem kopieren.
von  Abendzeitung
Bejubelt seinen Sieg in Innsbruck: Österreichs Super-Adler Gregor Schlierenzauer.
Bejubelt seinen Sieg in Innsbruck: Österreichs Super-Adler Gregor Schlierenzauer. © AP

Die Tournee gerät (fast) zu einer nationalen Meisterschaft. Deutsche fliegen hinterher – und wollen das Erfolgssystem kopieren.

INNSBRUCK Endlich hatte es Gregor Schlierenzauer geschafft. Den ersten Sieg an seiner Heimschanze, den Wunsch seiner Schwester Gloria erfüllt, endlich auch den Pokal von Innsbruck für die Familienvitrine mitzubringen. Ausgelassen bejubelt von den Fans am Bergisel ließ sich Österreichs neues Sportidol für seinen Erfolg beim dritten Tournee-Springen feiern, eine Festtagsstimmung, wie es sie in Oberstdorf und Partenkirchen nicht gegeben hatte.

Was kein Wunder ist. Denn die ersten beiden Springen fanden in Deutschland statt. Und da gab es für die Gastgeber wenig zu feiern. Ach, stimmt, die Deutschen. Die sprangen in Innsbruck auch mit. Nur fiel das nicht weiter auf. Pascal Bodmer auf Platz 9, Michael Uhrmann Zwölfter, Richard Freitag auf Rang 30. Neumayer, Mechler, Schmitt, Wank: gar nicht erst im Finale. Bis auf Bodmers Top-Ten-Sprung ein weiterer Tiefpunkt für das DSV-Team, der die Gastgeber freilich wenig interessierte.

Schon am Vormittag waren die Fans hinaufgepilgert, eine Wallfahrt in rot-weiß-rot hoch zum Berigsel. 21000 Fans im ausverkauften Stadion-Kessel, und nach dem Heimsieg Schlierenzauers ging es so laut zu wie wohl seit gut 200 Jahren nicht mehr, als Andreas Hofer und seine Freiheitskämpfer 1809 an gleicher Stelle zum Angriff auf die bayerischen Besatzungstruppen brüllten.

Die Euphorie grenzenlos. „Als ich oben auf dem Balken saß, hat's bis oben raufgebrodelt“, beschrieb Andi Kofler die Stimmung, „das war gewaltig.“ Der Tiroler aus dem Stubaital, von Innsbruck aus gesehen gleich rechts hinter dem Sprungturm, wurde gestern Vierter, führt die Tourneewertung vor Schlierenzauer und Wolfgang Loitzl aber weiter an. Die Zeitung „Österreich“ schrieb bereits von „nationalen Meisterschaften mit Schweizer und finnischer Beteiligung“, gemeint waren Simon Ammann und Janne Ahonen, in Innsbruck Zweiter und Dritter.

Von den deutschen Adlern war nur in einer Randnotiz zu lesen. Dass sie „lahm“ seien, hieß es, und auch an der Schanze nahmen sie die Deutschen nicht mehr ernst. Früher war die Abneigung unüberhörbar, wenn die Fans am Bergisel die DSV-Springer gnadenlos auspfiffen, ob Thoma, Weißflog, Hannawald. Damals wurden die Nachbarn gefürchtet. Jetzt werden sie nur noch bemitleidet.

Auch für Austrias Cheftrainer Alex Pointner sind die alten Rivalen keine Konkurrenz mehr: „Uns ging es vor zehn Jahren so wie den Deutschen jetzt“, sagte er in Innsbruck zur AZ, „da lagen wir am Boden. Da haben wir zu euch rüberg'schaut, den Schmitt und den Hannawald gesehen und gesagt: Hoppala, jetzt müssen wir was ändern.“ Und das taten sie dann auch, unter Skisprung-Chef Toni Innauer, dem Olympiasieger von 1980, der nach der Karriere Sportwissenschaften, Philosophie und Psychologie studierte, bauten die Österreicher ihr Langzeit-Projekt auf.

Das versäumten sie beim DSV; Konzepte für systematische Nachwuchsarbeit gab es nicht. Der Glaube, Erfolge würden zum Selbstläufer, war ein Irrglaube. Werner Schuster, der Vorarlberger, der vor zwei Jahren die deutschen Springer als Bundestrainer übernahm, soll das korrigieren. Er versucht nun, das Österreicher-Konzept mit all den Trainingsmethoden im deutschen Nachwuchsbereich zu etablieren. Aber das dauert. Kurzfristig ist keine Besserung in Sicht, so bleibt dem deutschen Skisprung vorerst nur die Hoffnung. Auf die alten Glanzzeiten. Auf die Pfiffe am Bergisel.

Florian Kinast

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