Von Bredow-Werndl: "Mami, jetzt hast du fünf Goldmedaillen! Boah!"

München - AZ-Interview mit Jessica von Bredow-Werndl: Die 35-jährige Dressur-Reiterin aus Rosenheim gewann bei Olympia in Tokio Gold im Einzel sowie mit der Mannschaft und kehrte wenig später von der Europameisterschaft soga
AZ: Frau von Bredow-Werndl, Doppel-Gold bei Olympia, Triple-Gold bei der EM: Läuft bei Ihnen, oder?
JESSICA VON BREDOW-WERNDL: Kann man so sagen, läuft echt sensationell gut. Ich bin so dankbar und glücklich, dass ich das erleben darf.
Die Olympiasiege sind knapp zwei Monate her - sind die überhaupt schon so richtig bei Ihnen angekommen?
Irgendwie schon und irgendwie nicht. Ich freue mich total darüber, aber es ist nicht so, dass ich morgens aufwache und sage: ‚Wie cool, ich bin Olympiasiegerin!' Ich weiß auch nicht, ob das noch kommt. Aber wenn ich darüber nachdenke, freue ich mich einfach unglaublich, dass ich das geschafft und meine Nerven bewahrt habe, dass alles aufgegangen ist. Das ist wirklich was Besonderes.

"Fünf Tage lang hat es mich nach Tokio richtig zerlegt"
Mit ein bisschen Abstand zurückgeschaut: Wohin mit all den Gefühlen, wenn man endlich am Ziel ist?
Ich habe sie alle rausgelassen, habe sie alle gelebt, auch die Angst zugelassen, es nicht zu schaffen. Aber auch die Erleichterung, als der Druck abgefallen ist. Ich bin sehr offen mit meinen Emotionen umgegangen und war danach auch sehr emotionsleer, weil ich so erschöpft war, emotional und körperlich. Fünf Tage lang hat es mich nach Tokio richtig zerlegt.
Inwiefern?
Ich war krank. Wir waren ein paar Tage im Urlaub, und ab dem zweiten Tag habe ich mich nur noch von einem Buffet zum nächsten geschleppt. Aber es war wichtig, auch das zuzulassen. Dass der Körper einen Reset machen kann, einfach mal eine Pause braucht. Es muss ja die ganze Zeit über immer alles funktionieren.
Und das alles ohne aufmunterndes Feedback von Zuschauern in Tokio. Wie haben Sie Ihre Triumphe feiern können?
Feiern war eigentlich nicht möglich. Wir haben um fünf vor zwölf kurz angestoßen, im Stall, mussten aber um zwölf wieder raus.
Das war Ihre Gold-Feier? Fünf Minuten im Stall?
In Tokio: ja. Aber zuhause haben wir dann mit dem Team und den engsten Freunden gefeiert - das war richtig schön und ausgelassen.
Von Bredow-Werndl: "Ich habe noch nie ein Motivationsproblem gehabt"
Doppel-Gold bei der Olympia-Premiere: Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?
Das Wesentliche zum Glück nicht. Mein Mann und mein Sohn mögen mich so wie vorher. Ich habe immer noch meinen gleichen Alltag zuhause. Das genieße ich auch gerade am meisten: keine Extra-Termine zu haben, sondern vormittags bei den Pferden und nachmittags bei meinem Sohn zu sein. Das ist für mich pures Glück. Was im Moment zu kurz kommt, sind die Freundschaften, weil ich einfach nicht zuhause war. Was sich definitiv verändert hat und was ich unterschätzt habe: der Bekanntheitsgrad. Ich wurde früher nicht erkannt, wenn ich in Rosenheim durch die Fußgängerzone gegangen bin. Jetzt schon. Ein anderes Lebensgefühl, verrückt. Aber ich habe das Gefühl, dass Rosenheim, Kolbermoor und Bad Aibling richtig mitgefiebert haben. Wenn ich zum Beispiel zur Bank gehe: Die freuen sich alle so. ‚Ich hab' nix angeschaut von Olympia, aber Ihre Ritte hab' ich alle gesehen!' Da ist so ein schönes Gemeinsam-Gefühl.
Haben Ihnen potenzielle Sponsoren schon die Bude eingerannt?
Ich bin im Gespräch mit ein, zwei Partnern, aber die Bude einrennen? Nee. Können sie aber gerne machen. Am liebsten hätte ich Partner, die Lust haben, mit mir gemeinsam ein Pferd zu haben. Das wäre spannend.
Wie sieht es mit der Motivation nach Erreichen des großen Ziels aus? Was soll jetzt noch kommen? Fürchten Sie das berühmte Fallen in ein Loch?
Ich habe noch nie ein Motivationsproblem gehabt, und ich werde das auch nicht haben, weil ich zum Glück noch weitere Ziele habe. Und mir macht es so viel Spaß, immer wieder neue Pferde auszubilden und ihnen quasi ihre Möglichkeiten zu erklären, dass mich das jeden Tag aufs Neue fasziniert und begeistert, mit diesen unterschiedlichen Persönlichkeiten zu arbeiten. Aber das interessiert die Menschen auch, weil viele Sportler danach leer sind und kein Ziel mehr haben, worauf sie hin trainieren sollen.
Von Bredow-Werndl hat noch einige Ziele vor sich
Wie lange bleibt Ihnen die Gold-Stute Dalera noch im Wettkampf erhalten?
Wenn sie gesund bleibt, kann sie vom Alter her noch locker bei Olympia 2024 in Paris dabei sein. Dann ist sie 17, und wenn wir das auch noch geschafft haben, würde ich sie langsam aus dem Sport verabschieden wollen. Ihre Besitzerin hat mir schon zugesichert, dass sie bei mir bleiben darf, und dann würde ich sie gerne Mama werden lassen, wenn sie das möchte.
Sie haben künftige Ziele angesprochen. Wie sehen die aus?
Das Schöne ist: Das, was wir schon erreicht haben, kann uns keiner mehr nehmen. Alles, was noch on top kommt, ist Zugabe. Auch dieses Triple bei der EM ist gigantisch und entspannt in gewisser Weise, weil ich gleich beweisen konnte, dass Tokio kein One-Hit-Wonder war. Gleichzeitig gibt es aber noch Rekorde zu brechen. Ich bin noch nicht Einzel-Weltmeisterin, habe den Gesamt-Weltcup noch nicht gewonnen - es sind schon noch so ein paar Sachen, die ich schaffen kann. Der Plan ist, ganz entspannt und freudvoll diesen Weg weiter zu gehen. Eine meiner Stärken ist es, nicht verbissen zu sein, sondern die Zeit und die Ausbildung mit den Pferden zu genießen, so dass auch die Pferde eine schöne Zeit haben. Genauso möchte ich das weitermachen. Und ich wünsche mir, dass ich weiterhin so viel Freude und Geduld habe bei dem, was ich tue.
Und wo haben die Goldmedaillen Ihren Platz gefunden?
Die hängen bei den anderen Medaillen an einer Säule im Haus, nicht eingerahmt oder im Glaskasten, sondern zum Anfassen. Mein Sohn sagt immer wieder: 'Mami, jetzt hast du fünf Goldmedaillen! Boah!