"Vitali Klitschko verbreitet Angst und Schrecken"

Henry Maske inspirierte mit seinem Fight 2007 in München Dr. Eisenfaust zum Comeback. Exklusiv in der AZ spricht die deutsche Box-Ikone über seine große Bewunderung für den Champion.
von  Interview: Matthias Kerber
Ex-Weltmeister Henry Maske.
Ex-Weltmeister Henry Maske. © dapd

Henry Maske inspirierte mit seinem Fight 2007 in München Dr. Eisenfaust zum Comeback. Exklusiv in der AZ spricht die deutsche Box-Ikone über seine große Bewunderung für den Champion

AZ: Herr Maske, bekennen Sie sich schuldig im Sinne der Anklage?


HENRY MASKE: Was wird mir denn vorgeworfen?


Vitali Klitschko hat gesagt, dass Sie mit Ihrem grandiosen Comeback vor fünf Jahren in München mitverantwortlich dafür waren, dass er sich zu seiner Rückkehr in den Ring entschieden hat.


Es gibt Schlimmeres, als wenn einem Vitali vorwirft, dass man eine Inspiration für sein Comeback gewesen sei. Er wird einen ähnlichen Denkprozess durchgemacht haben wie ich. Ich hatte mit 33 die Karriere beendet. Also in einem Alter, in dem ich viel jünger war als Vitali jetzt. Erst zehn Jahre später kam ich für den Kampf gegen Virgil Hill zurück. Diese Zeit außerhalb des Sports hat mir gut getan. Andere Dinge zu sehen, andere Wertigkeiten zu setzen. Dadurch konnte ich diesen Kampf anders wahrnehmen, als die Fights vor dem Comeback. Ich bin mir sicher, dass es in Vitali ähnlich aussah, als er zurückkam. Er ist in dieser Zeit als Person und Persönlichkeit enorm gewachsen.


Muss man erst loslassen, um zu wissen, was dieser Sport einem wirklich bedeutet?


Man tendiert ja dazu, sich in der Wertigkeit des Sports auch mal zu verlieren. Das war bei mir so, ich denke, das war bei ihm auch so. Man lernt durch die Zeit außerhalb des Sports, die Kirche auch mal im Dorf zu lassen. Der Sport ist sehr hart, aber man sieht durch diesen Abstand wie schön er ist. Der Mensch sehnt sich irgendwo nach den klaren, verständlichen Regeln, die es im Sport gibt. Das ganz Unregulierte entspricht nicht dem menschlichen Naturell. Wenn man mal aus dem Sport draußen war, sieht man vieles mit ganz anderen Augen, sieht, wie sehr man diese Regeln mag, sich sogar nach ihnen sehnt.


Im Rückkampf gegen Hill hatte man das Gefühl, dass Sie die Zeit im Ring viel intensiver erleben als früher in Ihrer Karriere.


Vielleicht zum einzigen Mal in meiner Karriere habe ich die Minuten richtig genießen, ja aufsaugen können. Es war eine andere Art der Sensibilität, die ich erfahren durfte. Wie man dann erlebt hat, dass einen das Publikum frenetisch anfeuert, war bewegend. Gerade in München, denn das Publikum dort ist vielleicht etwas getragener als etwa in Dortmund. Damit die so aus sich herausgehen, muss man ihnen schon etwas emotional Besonderes bieten.


Haben Sie sich den Fight später auf Video angesehen?


Einmal, das war relativ zeitnah nach dem Kampf. Und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht für Gänsehaut gesorgt hätte. Dafür hatte ich 55 Wochen trainiert.

Wie wichtig war es Ihnen, dass dieses Comeback wieder in der Olympiahalle stattfand? An dem Ort, an dem Sie zehn Jahre zuvor gegen eben diesen Hill Ihre schmerzliche Niederlage zum Karriereende hinnehmen mussten?


Ich hatte in München drei wichtige Kämpfe. Den Rückkampf gegen Graciano Rocchigiani, in dem ich klar gewonnen und so die nicht so überragende Leistung des ersten Kampfes gerade gerückt habe. Dann meine Niederlage gegen Hill und eben das Comeback. Es war mir wichtig, in München zu boxen, damit hat sich ein Kreis geschlossen. Ich habe es nie so gesehen, dass damit die Niederlage getilgt ist, denn sie existiert. Sie existiert in den Geschichtsbüchern, sie existiert in meinem Kopf. Aber es war schon so, dass ich an der gleichen Stelle diesmal mit einem Sieg abtreten wollte. Es war so, dass sich kurz vor dem Kampf meine Beschwerden an der Schulter, die diese extreme spezifische Belastung nicht mehr gewohnt war, so zuspitzten, dass eine Kampfverschiebung im Raum stand. Da aber kein zeitnaher Ersatztermin in der Olympiahalle geblockt war, musste ich da durch. Der Ort war mir so wichtig, dass ich das durchgezogen habe, obwohl es grenzwertig war.


Sie kamen nur für einen Kampf zurück und das gegen einen Gegner, der Weltmeister, jedoch auch in Ihrem Alter war. Klitschko kam zurück, um eine längere Karriere zu starten und legte sich mit dem jungen Weltmeister Samuel Peter an.


Ich bewundere Vitali dafür, wie er das geschafft hat. Ich erinnere mich genau, wie er von der ersten Sekunde an dominiert hat. Welch harte Hände er mit einer unglaublichen Frequenz an Peters Kopf abgefeuert hat. Ich saß am Ring und dachte mir, wenn das so weitergeht, das kann keiner überleben. Peter hat ja dann zum Glück aufgegeben. Ich muss auch sagen, dass Vitali sich im zweiten Teil seiner Karriere noch extrem verbessert hat. Ich finde, dass wir den komplettesten Vitali aller Zeiten sehen. Er ist vielleicht kein kompletter Boxer, dafür ist seine Beinarbeit nicht gut genug, aber er präsentiert das Beste, was Vitali zu bieten hat – und das ist enorm viel.


Wer kann Klitschko schlagen? Geben Sie Chisora eine echte Chance?


Vitali kann sich auch in diesem Kampf nur selber schlagen. Chisora wird es sicher versuchen, aber ich sehe nicht, wie er Klitschko schlagen könnte. Beim Kampf von David Haye gegen Wladimir Klitschko haben wir doch allegedacht, das wird eine echte Herausforderung und dann hatte er nicht den Hauch einer Chance. Wenn ein Nichtboxer unseren Sport versucht, dann ist es oft so, dass seine Füße schon aus Angst wieder weg sind, bevor überhaupt die Faust am Ziel angekommen ist, das ist der Fluchtinstinkt. So ähnlich sah das bei Haye in dem Kampf manchmal aus. So sieht es oft bei den Gegnern der Klitschkos aus. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Gegner alle Hasenfüße wären.


Wie würden Sie es beschreiben?


Damit, dass die Einschläge der Fäuste beider Klitschkos, und zwar egal mit welcher Hand, einfach gewaltig sind. Die tun weh. Die flößen Respekt ein. Und Vitali mit seiner ganzen Art, seiner Statur, diese unglaublichen mentalen Härte, der verbreitet Angst und Schrecken. Da stehen zwei Meter an geballter Kraft vor dir.

Wie lange kann Vitali noch das Schwergewicht zusammen mit seinem Bruder dominieren?


Er wird sicher keine langfristigen Planungen mehr machen, sondern von Kampf zu Kampf entscheiden. Aber wenn er sich so fit hält, wie er jetzt ist, dann kann er auch noch ein paar Jahre auf diesem Niveau weitermachen. Wie gesagt, Vitali kann sich nur selber schlagen, seine Gegner sind dazu momentan nicht in der Lage.

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