Vitali Klitschko, der Mutbürger 2013, kämpft um Kiew

Schwergewichtsboxer Klitschko trägt seinen schwierigsten Kampf nicht im Boxring aus – sondern auf offener Straße. Was ihn antreibt, warum er eine Art „Sportler des Jahres“ ist  
von  Hartmut Scherzer

 

Schwergewichtsboxer Klitschko trägt seinen schwierigsten Kampf nicht im Boxring aus – sondern auf offener Straße. Was ihn antreibt, warum er eine Art „Sportler des Jahres“ ist

Frankfurt - Vitali Klitschko meldet sich per Handy. Seine Stimme klingt sehr müde. Er ist stark erkältet. Welch Wunder, nach all den Tagen und Nächten in klirrender Kälte auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew. Der Oppositionsführer der Proteste gegen das Regime Viktor Janukowitsch wärmt sich in einem Kiewer Restaurant auf. Vitali, der Mutbürger 2013. Sein Bruder Wladimir ist bei ihm.

Auch letzten Sonntag hatten wieder Zehntausende Regierungsgegner, nun zum sechsten Mal in Folge, gegen die prorussische Führung protestiert. Unter dem Motto: „Solidarität gegen Terror“. Weitere Oppositionsanhänger zogen zur scharf bewachten Residenz von Janukowitsch außerhalb der Hauptstadt der Ex-Sowjetrepublik. Janukowitsch hatte auf Druck Russlands auf eine engere Anbindung an die EU verzichtet – und damit die Proteste ausgelöst.

„Die Regierung erwartet, dass die Proteste wegen der Neujahrsferien aufhören, aber wir kämpfen bis zum Sieg“, sagt Klitschko (42). Er kämpft weiter – für die Sache der Ukrainer, die nach Europa wollen. Ständig hofft er: „Hoffentlich kommt es zu keiner Gewalt.“. Der vom World Boxing Council (WBC) zum „Champion Emeritus“ erklärte Schwergewichtsboxer hätte Grund, sich auch seinetwegen Sorgen zu machen. „Die Sicherheitsbehörden haben meine Bewegungsfreiheit stark eingeengt und mir verboten, auf den Maidan zu gehen“, erzählt er am Telefon. „Scheißegal. Ich werde dort sein.“

Die Staatsmacht versucht, ihren gefährlichsten Gegner einzuschüchtern. So hat Klitschko, Vorsitzender der Partei UDAR, erfahren, dass – noch inoffizielle – Ermittlungen gegen ihn eingeleitet worden sein sollen. Der Vorwurf: Anstiftung zum Umsturz. „Dafür kann ich fünf bis neun Jahre in den Knast gehen“, bemerkt er lapidar. Auch seine Gesundheit, sogar sein Leben sind nicht sicher, wie das Schicksal anderer prominenter Regimegegner in diesem kriminellen und korrupten Machtapparat zeigt: Die Haft Julija Timoschenkos, der Giftanschlag auf Viktor Juschtschenko. Aktuellstes Beispiel: Die regimekritische Journalistin Tatjana Tschornowil wurde vor wenigen Tagen brutal zusammengeschlagen.

Mit seinen resoluten Forderungen hat sich Vitali Klitschko auf den gefährlichsten Kampf seines Lebens eingelassen. Er wirft Janukowitsch „persönliche Bereicherung“ vor. Am 28. Dezember lief die Frist für die Wahl des Weltsportlers 2013 ab. Die schnellsten Beine der Welt (Usain Bolt) dürften vor den schnellsten Rädern (Sebastian Vettel) durchs Ziel rasen. Auch ohne einen Boxkampf 2013 ist Vitali Klitschko eine Art „Sportler des Jahres“.

Wie einst Muhammad Ali, dessen ewiger Ruhm auch auf seiner standhaften Haltung gründet, während des Vietnam-Krieges den Wehrdienst zu verweigern. Dafür nahm er eine dreieinhalbjährige Verbannung und die Verurteilung zu fünf Jahren Gefängnis in Kauf.

Seit sich Klitschko an die Spitze des Protests gestellt hat, ist der Ex-Boxer zum populärsten und integersten Politiker der Ukraine aufgestiegen. Er kann sich daher „überhaupt nicht vorstellen, noch einmal in den Ring zurückzukehren“. Der Status „Emeritus“ lässt ihm zwar die Möglichkeit, ohne Vorkampf jederzeit sofort gegen den aktuellen Weltmeister anzutreten.

Doch zunächst will er seinen Kampf in Kiew gewinnen.

 

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