Usyk gegen Joshua ist mehr als nur ein Box-Kampf
Oleksandr Usyk ist eigentlich ein Mann weniger Worte, der in der Öffentlichkeit lieber seine ausdrucksstarken Augen sprechen lässt. Seine Stimme ist leise.
Die beim Boxen so übliche und abgehangene Macho-Attitüde, das Testosteron-Geprotze überlässt er denen, die sich ihrer selbst, ihres Könnens nicht sicher sind. Usyk, ein studierter Sportwissenschaftler, ist ein reflektierter Gesprächspartner.
Doch in diesen Tagen, in denen seine Heimat - die Ukraine - vom russischen Diktator Wladimir Putin in einem verbrecherischen Krieg am 24. Februar überfallen wurde, und seitdem jeden Tag in Schutt und Asche gebombt wird, weiß der Schwergewichtsweltmeister nur zu genau, dass sein Rückkampf am Samstag (22 Uhr, DAZN) in Saudi-Arabien gegen Anthony
, dem er vor einem Jahr in zwölf einseitigen Runden vom Box-Thron geprügelt hat, mehr ist als nur ein Kampf zweier Männer.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zu Usyk Kontakt aufgenommen und ihn gebeten, "der Welt zu zeigen, dass die Ukraine die Heimat starker, spiritueller, zivilisierter Menschen ist."
Klitschko: "Sieg im Kampf über Joshua ist ein wichtiger für die Ukraine"
Und die Klitschko-Brüder Wladimir, der das Schwergewicht fast eine Dekade beherrschte, und Vitali, der frühere Weltmeister und jetzige Bürgermeister von Kiew, sagten ihm, dass ein "Sieg im Kampf über Joshua wichtiger für die Ukraine ist; als wenn er "mit der Waffe für sein Land kämpfen" würde.
Genau das hat Usyk nach der Invasion getan. Er kehrte in die Ukraine zurück, patrouillierte in der Freiwilligen-Armee ab März in den Straßen von Kiew. Seine Familie versteckte er in den Bunkern. "Meine Seele gehört Gott, mein Körper der Ukraine", sagte er. Usyk war bereit, zu töten - und getötet zu werden.
Doch dann besuchte er ein Spital mit verwundeten Soldaten. Auch die baten ihn, für die Ukraine in den Ring zu steigen. Noch heute erhält er von genau diesen Soldaten Videos uns Textnachrichten. Mit einer Sondergenehmigung des Sportministeriums reiste Usyk aus. Vier Jahre zuvor hatte der damalige Ministerpräsidenten Wolodimir Hroisman, nachdem Usyk die WM-Titel im Cruisergewicht vereinigt hatte, diesem den Titel "Held der Ukraine" verleihen wollen. Doch Usyk lehnte ab, weil "nur die Menschen, nicht ein Titel, einen zum Helden machen".
Sollte er Joshua wieder bezwingen, wäre er ein Sport-Held. Doch für ihn ist sein Präsident in dieser Krise durch den Krieg zum Helden geworden. "Man hatte ihm zu Kriegsbeginn angeboten, dass man ihn ins Ausland bringen würde. Er hat abgelehnt. Was wäre das für ein Signal an uns Bürger gewesen, wenn der Präsident geflohen wäre? Er blieb und wir sahen, die Stärke, die wir haben, dass wir kämpfen müssen. Für unsere Familien, unsere Überzeugungen, unsere Liebsten."
Fast sechs Monate hat Usyk seine drei Kinder so gut wie nicht gesehen. "Sie sind in Sicherheit in Europa", sagte Usyk, der seine Frau Jekaterina wieder an seiner Seite hat. Und Loilia. Einen kleinen Weichgummi-Esel. "Er gehört meiner Tochter Yelizaveta. Sie ist zwölf. Wir haben das Teil gekauft, als wir als Familie in Disneyland in Paris waren, jetzt hat sie ihn mir als Talisman gegeben", sagte Usyk dem "Telegraph", "sie gab mir Loilia, damit wir immer verbunden sind.
Das Spielzeug ist immer bei mir. Es wird auch in der Kabine vor dem Kampf sein."

Der wird in der Ukraine kostenlos übertragen. Dank Usyk. Die Saudis schenkten ihm die Übertragungsrechte für sein Land, der Boxer verzichtet auf jegliche Einnahmen aus diesen Rechten. "Geld motiviert mich nicht. Wenn man am Ende seinem Schöpfer gegenübertritt, wird er dich nicht fragen, wie reich du bist, sondern was du Gutes im Leben vollbracht hast.
Das ist mein Ziel, der beste Mensch zu sein, der ich sein kann." Deswegen will er diesen Kampf gewinnen. Für sich, seine Familie, seine Heimat. Ich will danach meine Kinder wiedersehen, sie in den Arm nehmen und dann werde ich nach Kiew zurückkehren."
Kämpfen für die Heimat
Und wieder kämpfen - für seine Heimat. Denn er weiß, was es heißt, seine Heimat zu verlieren. Usyk wurde 1987 in Simferopol auf der Krim geboren, 2014 wurde die von Russland annektiert. Usyk wurde die Zugehörigkeit zur Krim aberkannt, da er den Tatbestand der "Russlandphobie" erfüllen würde.
Er siedelte nach Irpin in der Nähe von Kiew um. Sein Haus wurde, nachdem er seine Familie in Sicherheit gebracht hatte, geplündert und zerstört. "Es kann nicht sein, dass so ein Krieg im 21. Jahrhundert stattfindet", sagte Usyk, "aber vorerst konzentriere ich mich auf meine Aufgabe als Boxer. Ich weiß, was dieser Kampf bedeutet. Nicht nur mir."
Es wird ein Fight gegen einen Mann, der sich geschworen hat, Usyk die Titel wieder zu entreißen. Joshua weiß, dass seine Karriere Geschichte ist, wenn er wieder verlieren sollte. "Das ist ein Wahnsinnsdruck", sagte Axel Schulz, der selber drei Mal um die Schwergewichts-WM geboxt hat (aber drei Mal verloren hat), der AZ: "Ich weiß nicht, wer mehr Druck hat. Wie Usyk mit der Last umgeht, dass ein ganzes Land auf ihn schaut, kann man nicht wissen. Das kann dich beflügeln - oder erdrücken."
Und James Ali Bashir, der langjährige Co-Trainer von Wladimir Klitschko, der Usyk von 2013 bis 2017 trainiert hat, meinte zur AZ: "Usyk ist ein einmaliges Talent. Er hätte Joshua im ersten Fight zerstören können, doch seine Trainer haben den Fehler gemacht, ihn nicht die Entscheidung suchen zu lassen. Usyk erkennt jede Schwäche, hat eine unglaubliche mentale Stärke. Er ist ein geborener Kämpfer."
Im Ring - und außerhalb.