US Open - der Grusel Slam
NEW YORK - Dauerregen stürzt das letzte Grand-Slam-Turnier der Saison ins Chaos. Die Stars schimpfen über "ahnungslose Organisatoren" und das Fernseh-Diktat.
Es waren Szenen wie aus der Steinzeit des Profitennis: Balljungen, die mit Handtüchern verzweifelt immer wieder den Centre Court-Boden trockenrubbelten. Helfer, die mit kleinen Karren umhergondelten, aus denen heiße Luft aufs Spielfeld des Arthur Ashe-Stadions blies. Offizielle, die in der Arena mit konfusen Gesten die armselige, kaum organisierte Notfalltruppe unterwiesen. Und US Open-Tennisfans, die drei Tage im Regenwirrwarr mit dubiosen Informationen beschummelt wurden, immer hart an der Grenze zur Unwahrheit.
Seit der Himmel am Donnnerstagabend in New York seine Schleusen geöffnet hat, sind die Offenen Amerikanischen Meisterschaften ins alt vertraute Chaos gestürzt – der Grand Slam mit Hollywood-Touch und prickelndem Weltklassetennis verwandelte sich in einen „Grusel Slam“, bei dem die Nerven von Spielern, Zuschauern und Medien blank lagen. „Das Turnier ist nicht fair zu den Spielern“, sagte Spaniens Gladiator Rafael Nadal am Samstagmittag mit kaum unterdrückter Wut, als er endlich sein 36 Stunden zuvor begonnenes Viertelfinalmatch gegen Fernando Gonzalez gewonnen hatte.
Schon zum zweiten Mal hintereinander sorgte die Inkompetenz der US Open-Bosse, aber auch das hemmungslose Diktat der amerikanischen Fernseh-Networks für einen Grand-Slam-Alptraum auf der Zielgeraden. Die Führungsspitze des Verbands konnte noch von Glück reden, dass wenigstens die beiden Damen-Halbfinals am späten Samstagabend nach beinahe zehn Stunden zermürbendem Geduldsspiel noch ausgetragen werden konnten – wenn auch vor halbleeren Rängen.
"Das Wetter ist halt unberechenbar"
Es klang beinahe zynisch, als US Open-Turnierdirektor Jim Curley am Samstag, dem 13. Turniertag, im großen Interviewsaal von „einem totalen demokratischen Entscheidungsprozess“ bei der Gestaltung des Terminplans für den Major-Wettbewerb sprach. Denn jeder in der großen Tennisfamilie weiß nur zu gut: In New York werden auf dem Altar der Fernsehinteressen im Zweifelsfall fast immer die Vernunft und sportliche Argumente geopfert.
So wie auch am Donnerstag, als trotz heraufziehenden Regens das Spiel von Nadal gegen Gonzalez nicht parallel zum anderen Viertelfinalmatch des Tages in einem anderen Stadion angesetzt wurde – der Grund lag auf der Hand: Der neue TV-Partner „ESPN 2“ wollte die Partie in einer exklusiven Nachtshow zeigen. „Das Wetter ist halt unberechenbar“, sagte später Supervisor Brian Earley lapidar, der für die meisten Spieler wegen seiner krass realitätsfernen Statements zur Hassfigur geworden ist.
"Sie verstehen überhaupt nichts von Planung"
So kehrte 2009 wie auch 2008 der Dilettantimus früherer Tennisjahre nach New York zurück, eine Zeit, in der die US Open als einziger Pannenbetrieb verschrieen waren, in dem nicht mal die Belegung der Trainingsplätze klappte. „Wenn man diese Organisation sieht, kann man sich nicht vorstellen, dass diese Nation Menschen zum Mond geschickt hat“, hatte 2003 unter ähnlich herausfordernden Wetterbedingungen der weitgereiste Schüttler-Caoch Dirk Hordorff geätzt.
Noch ärger nahm Kroatiens Ex-Kanonier Goran Ivanisevic die Macher des oft faszinierenden, oft aber auch frustrierenden Spektakels aufs Korn: „Sie verstehen überhaupt nichts von Planung. Sie orientieren sich nur nach ihren Sponsoren, nach dem Fernsehen.“ Auch Nadal, der 2008 schon von den US Open-Managern schwer benachteiligt worden war, befand am Samstag: „Du musst hier irgendwie die Geduld bewahren. Denn nur die Sender entscheiden, was passiert.“
60 Millionen Dollar zahlen die TV-Sender im Jahr
Für die 60 Millionen Dollar, die CBS und ESPN2 im Jahr an die USTA bezahlen, nehmen sich die Anstalten das Recht des flächendeckenden Diktats heraus – internationale Fernsehsender haben nichts zu melden, nicht einmal Asiens große Anstalten oder die BBC. So werden von den amerikanischen TV-Leuten die eigenen Profis ungerührt bevorteilt, am gravierendsten 2003, als der Spielplan fast maßgerecht auf Ballermann Andy Roddick zugeschnitten war.
Auch der „Super Saturday“, ein Anachronismus in der Tenniswelt, ist eine Erfindung der Fernsehbosse, um das ansonsten wenig aufregende Samstagsprogramm aufzupeppen – dass die besten Profis ausgerechnet die wichtigsten Matches des ganzen Turniers an zwei Tagen hintereinander spielen müssen, wird kühl erwartet. „Das hilft eben auch, Tennis für ein Massenpublikum zu promoten“, sagt Turnierchef Jim Curley. Auf massive Kritik in englischen Blättern, „dass die US Open endlich die Organisation in den Griff kriegen und den Super Saturday abschaffen müssen“, gab Curley vorgestern gereizt zurück: „Wimbledon hat doch viel größere Probleme mit dem Wetter.“
Ein Dach würde 100 Millionen Dollar kosten
Ein schwerer Irrtum, denn seit dem Bau des grandios schönen Centre Court-Daches ist das bedeutendste Tennisturnier insbesondere im Finish vor himmlischem Unheil geschützt. Ab dem Viertelfinale kann jederzeit unter dem „großen Regenschirm“ gespielt werden, anders als in New York, wo sich die Herren übers Grand Slam-Geschehen sogar seit Jahr und Tag beharrlich weigern, Planen auf den Courts zu verlegen. Hört der Regen auf, beginnt der umständliche, antiquierte Prozeß des Trocknens. „Katastrophal“, nennt das Großkritiker John McEnroe, nur einer von vielen Anklägern, die sich fragen, warum die USTA 1997 nicht gleich ein Dach fürs Ashe-Stadion plante.
Nun wird die Aufrüstung teuer. Mindestens 100 Millionen Dollar würde eine Überdachung des bestehenden Centre Courts kosten, rechnete am Samstag USTA-Exekutivdirektor Gordon Smith vor, „das ist eine Menge Geld für jede Nonprofit-Organisation.“ Aber um eine Renovierung werden die New Yorker nicht herumkommen, wollen sie in der Grand Slam-Familie nicht den Rückhalt verlieren. Nach Wimbledon und Melbourne plant gerade auch Paris ein neues Stadion mit Dach für 14.000 Zuschauer. Fertigstellung? Wahrscheinlich 2013.
Jörg Allmeroth