US Open: 100 000-Volt-Tennis

Das Turnier in New York ist das größte Spektakel im Tennis-Jahr. "Eine Grenzerfahrung für die Sinne", sagt Roger Federer. Und die Showbühne für internationale Stars von Dustin Hoffmann bis Mick Jagger.
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"Grand-Slam-Tennis, das einen süchtig macht", sagt John McEnroe über die US Open.
dpa "Grand-Slam-Tennis, das einen süchtig macht", sagt John McEnroe über die US Open.

NEW YORK - Das Turnier in New York ist das größte Spektakel im Tennis-Jahr. "Eine Grenzerfahrung für die Sinne", sagt Roger Federer. Und die Showbühne für internationale Stars von Dustin Hoffmann bis Mick Jagger.

Er ist zwar der coolste Typ im Tennis-Universum. Doch wenn er abends in die größte Arena des Wanderzirkus einmarschiert, dann läuft auch ihm, dem großen Roger Federer, noch ein kalter Schauer den Rücken herunter: „Ich wäre kein Mensch mehr, wenn mich das kalt ließe“, sagt Federer über die Nachtvorstellungen bei den US Open, über dieses schier grenzenlose Spektakel unter freiem Himmel, über eine „Grenzerfahrung für die Sinne.“

Seit genau 31 Jahren hat der Wahnsinn von Flushing Meadow nun schon Methode, von jenem Tag an, als der amerikanische Grand Slam vom beschaulichen Forest Hills ganz nahe an den Millionenmoloch heranrückte. So nah, dass sich nun beinahe jeden Abend für Zehntausende Tennisfreaks ein melodramatisches Panorama entfaltet, das Postkartenbild einer glutroten Sonne, die in die Häuserschluchten des zehn Kilometer entfernten Manhattan fällt. „Alles ist hier eine Nummer größer, bunter, greller“, sagt die Russin Maria Scharapowa, die schon in Runde 3 ausschied, „selbst der Sonnenuntergang.“

Boris Becker hat schon recht gehabt, als er bei einer seiner abenteuerlichen US Open-Expeditionen feststellte: „Es gibt 100 Turniere auf der Welt – und dann gibt es noch dieses in New York.“ Denn sicher ist: Der letzte Major-Wettbewerb der Saison ist ein Spektakel, das in kein konventionelles Schema passt – weder im Tennis noch sonstwo im Sport. Die 14 New Yorker Tage testen die Stars bis ans Limit, 14 Tage, in denen sie auf die exzentrischsten Fans des Planeten treffen und ganz nebenbei noch die Herausforderungen des Großstadtdschungels meistern müssen. „Das ist 100 000-Volt-Tennis“, sagt Jimmy Connors, der Mann, der vor einem Vierteljahrhundert mit seinen elektrisierenden Auftritten das Turnier durcheinanderschüttelte. Nie komme man zur Ruhe, findet Andy Roddick, der Sieger des Jahres 2003, „du stehst dauernd unter Hochspannung“.

Zur Nachtvorstellung gibt Federer den schwarzen Ritter

Nachttennis in New York ist auch die Bühne der Eitelkeiten. Auf und neben dem Court. Längst schneidern die großen Ausrüster ihren Topstars für die Abendshows in der riesigen Betonschüssel des Arthur Ashe-Stadions eigene Kollektionen zurecht, so marschiert Roger Federer zur Spätvorstellung wie ein schwarzer Ritter aufs Feld. Tagsüber reicht eine rote Ausrüstung. Fast schon das Leitmotiv für die modernen Tenniszeiten hatte vor zwei Jahren Scharapowa vorgegeben, als man sie nach ihren wechselnden Aufmachungen befragt hatte: „Trag´ ein schönes Kleid, setz´ das richtige Make-up auf – und schon bist du die Bombe“, hatte sie gesagt. Und hinzugefügt: „So was geht nur in New York. Hier kannst du was ausprobieren.“

Und was erleben. Denn Tag für Tag flanieren auch Hollywoodstars oder Popgrößen im National Tennis Center herum, ganz so, als würden draußen in Flushing Meadows „Grammys“ oder „Oscars“ vergeben. Jack Nicholson, Russell Crowe, Dustin Hoffmann oder Mel Gibson schauen regelmässig vorbei, outen sich, wie Hoffmann, als „fanatischer Federer-Fan.“ Besonders am Finalwochenende mit dem magischen Super Saturday ist die Gästeliste lang und erlesen: Barbara Streisand, Nicole Kidman, Meryl Streep, Reese Witherspoon, Kate Winslet, Sting, Shakira, Mick Jagger oder Justin Timberlake sind dann vor Ort und im Fokus der Paparazzi-Meute.

Über 200 Millionen Dollar Umsatz

Selbst die große Finanzkrise hat die US Open nicht erschüttern können. Zwar sind die exzessiven Zeiten vorbei, in denen Investmentbanken rauschende Partys in ihren Centre Court-Logen schmissen. Aber das Sponsorengeschäft und die Vermarktung der Hospitality-Logen bewege sich „fast genau auf dem hohen Niveau des Vorjahres“, sagt Phil O´Neil, der Finanzchef des Turniers, „gerade in den letzten Wochen hat die Vermarktung noch einmal einen richtigen Schub bekommen.“ O´Neil rechnet mit einem Umsatz, der knapp an die 208 Millionen Dollar des 2008er Turniers heranreicht, eine „sensationelle Zahl unter diesen Umständen“, findet John Korff, einer der angesehensten Sportvermarkter in den USA, „das ist wie ein Homerun im Baseball.“

So erfolgreich ist der Grand Slam-Rummel draußen vor den Toren des „Big Apple“, dass die United States Tennis Association (USTA) inzwischen an Grenzen des Wachstums stößt: Im letzten Jahr strömten über 720 000 Fans durch die Tore des Billie Jean King Centers, mehr als 50.000 Fans pro Tag. Doch das Gedrängel und Geschubse auf der Anlage ist groß, Ellbogen-Einsatz ist gefragt, um sich im Menschenmeer zu behaupten. Schon schmiedet die USTA wieder Expansionspläne, denkt sogar an den Bau eines komplett neuen Stadions mit beweglichem Dach – bei geschätzten 80 Millionen Dollar Reingewinn p.a. keine Utopie. „Tennis ist im Moment in einer so aufregenden Phase. Da muss man gar nicht viel Mut haben, um zu investieren“, sagt John McEnroe, der bei den US Open zwei Wochen lang im TV-Dauereinsatz ist. Auch er ist jedes Jahr aufs Neue vom Grand Slam-Fieber in New York angesteckt: „Das ist die schönste Zeit im Jahr. Das ist Grand Slam-Tennis, das einen süchtig macht.“

Jörg Allmeroth

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