Unfälle machen Champions

Nürburgring - Die Tipps von Hans-Joachim Stuck sind begehrt. Auch wenn sie manchmal etwas skurril oder eigenwillig klingen. „Du musst mindestens einmal in deiner Karriere einen schweren Unfall überleben. Bei mir war das auch so. Immer, wenn es ordentlich gerummst hat, bin ich noch stärker geworden“, sagt der heute 62-Jährige. Normale Autofahrer mögen darüber nur den Kopf schütteln. Doch für Stucks Freund Mike Rockenfeller war dieser Ratschlag Gold wert.
Seit „Rocky“ vor zwei Jahren beim legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans in der Nacht einen Horror-Crash mit Tempo 300 wie durch ein Wunder so gut wie unverletzt überstanden hat, ist er in der Form seines Lebens. In diesem Jahr könnte es die vorläufige Krönung geben, denn der 29-jährige Audi-Pilot greift in der DTM völlig überraschend nach dem Titel. Sollte Rockenfeller nach seinem Sieg beim ersten DTM-Rennen in Moskau auch am Sonntag (13.30 Uhr/live in der ARD) auf dem Nürburgring gewinnen, wäre ihm der Titel kaum noch zu nehmen.
Was aber sagt Stuck einem Fahrlehrer, der seinen Schülern immer predigt, alles zu tun, um bloß keinen Unfall zu bauen? „Das kann man doch nicht vergleichen. Als Rennfahrer kannst Du erst nach einem schweren Crash das Risiko richtig einschätzen. Das macht dich letztlich noch schneller“, erklärt der Strietzel. Will heißen: Horror-Unfälle machen Sieger. Der Unfall in Le Mans habe Rockenfeller geholfen, behauptet Stuck: „Er geht souveräner und intelligenter zu Werke.“
Beide Rennfahrer sind seit Jahren befreundet. Stuck, der 1990 selbst DTM-Meister wurde und heute als Chef des Deutschen Motorsportbundes der höchstrangige Motorsportfunktionär Deutschlands ist, wohnt in Österreich, Rockenfeller in der Schweiz. „Wir besuchen uns so oft es geht“, sagt Stuck. Der DTM-Pilot sei nicht nur ein toller Sportler, sondern auch ein netter Mensch. „Er wäre ein würdiger und perfekter Meister. Ich drücke ihm beide Daumen“.
Auch für Tourenwagen-König Klaus Ludwig (63) ist Rockenfeller der große Favorit. „Wenn Rocky am Nürburgring gewinnt und die beiden anderen Jungs auf dem Podest auch Audi fahren, ist eine Vorentscheidung gefallen“, sagt der dreimalige DTM-Champion. Ludwigs Titelrechnung ist denkbar einfach: „Rocky darf nicht mehr ausfallen. Schafft er das, dann wird er am Ende auch Meister.“
Rockenfeller führt die Gesamtwertung vor dem siebten von zehn Rennen schon mit 27 Punkten Vorsprung vor Titelverteidiger Bruno Spengler (BMW) an. Deshalb hat Audi den neuen Überflieger zur Nummer eins gemacht. Es gehe nun darum, mit einer starken Teamleistung dafür zu sorgen, dass Mike Rockenfeller so viele Zähler wie möglich mitnehme, sagt Audi-DTM-Boss Dieter Gass. Ein klarer Fall von Stallorder.
Für Stuck ist das kein Betrug, sondern die richtige Strategie: „Rocky ist der Titelkandidat, alle anderen müssen für ihn fahren. Wenn Audi jetzt keine Teamorder ausgibt, dann gehören die alle abgestraft.“ Ob das den Zuschauern aber wirklich gefällt, darf bezweifelt werden.
Schon jetzt laufen die Fans der einst so populären Rennserie in Scharen davon. Zur Saison-Halbzeit kamen 81<TH>500 Zuschauer weniger als im Vorjahr.