Unantastbar wie Moses

Schwimm-Ass Michael Phelps ist mit seiner Gold-Gala der absolute Superstar der Spiele in Peking. In den USA ersparen sie sich daher die Fragen nach Doping.
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Dreimal Gold, dreimal Weltrekord:  Michael Phelps verzückt seine Fans. Er selbst bleibt aber locker.
ap Dreimal Gold, dreimal Weltrekord: Michael Phelps verzückt seine Fans. Er selbst bleibt aber locker.

Schwimm-Ass Michael Phelps ist mit seiner Gold-Gala der absolute Superstar der Spiele in Peking. In den USA ersparen sie sich daher die Fragen nach Doping.

PEKING Tränen gab es nur auf der Tribüne. Bei Schwester Hillary Phelps, weil sie von ihrem Bruder den Blumenstrauß von der Siegerehrung in die Hand gedrückt bekam. Die Frau schien kurz vorm Kollabieren.

Michael Phelps dagegen nicht. Selbstverständlich hatte er in seinem dritten Rennen das dritte Gold in Peking geholt, mit Athen 2004 das neunte insgesamt, selbstverständlich über 200 Meter Freistil den alten Weltrekord pulverisiert. Und selbstverständlich wirkte er auch nicht gerührt, als er oben auf dem Podest die Hymne hörte und die Fahne sah. Ist ja längst Routine für ihn.

Und täglich grüßt das Murmeltier. Und täglich ein Olympiasieg.

Der Schwimmstar, dem keiner das Wasser reicht. Vor dem sie resigniert haben. Bei dem aber auch in Peking die Frage mitschwimmt, ob er wirklich so sauber ist wie das klare Becken des Aqua Cube.

Selbst Park Taehwan, der Zweiter wurde, entpuppte sich gestern nach dem Rennen als großer Phelps-Fan. „Ich hoffe, dass er hier acht Goldmedaillen gewinnen kann“, sagte der Koreaner, „vielleicht habe ich ja 2012 in London eine Chance.“ Und Paul Biedermann, als Fünfter mit der bis dahin besten Leistung eines deutschen Schwimmers bei den Pekinger Spielen, meinte nur: „Er ist einfach unantastbar. Wenn er so weiter macht und wie angekündigt bis 30 weiterschwimmt, dann gute Nacht, Marie.“ Phelps ist erst 23.

Eddie Reese, der Cheftrainer der amerikanischen Schwimm-Mannschaft, sagte über Phelps: „Der Letzte, der das Wasser so beherrscht hat, war Moses.“ Weil auch Phelps so leicht hindurch kommt, als hätte er es geteilt.

Aber was macht ihn so stark? Der Wille? Das Training? Oder doch etwas ganz anderes?

Als eines von Phelps’ Erfolgsgeheimnissen nannte Paul Biedermann seine „unheimliche Ruhe vor dem Start“. Die zeigte sich auch gestern an einem ganz bemerkenswerten Detail, als die Schwimmer wie üblich vor dem Rennen mit ihrem Handtuch den Startblock trockneten. Die meisten warfen es danach achtlos über ihren Stuhl, Phelps nahm es, faltete es behutsam dreimal zusammen und legte es säuberlich auf seinen Platz, als würde er gerade daheim die Wäsche zusammenlegen.

Dabei war der kleine Michael daheim in Baltimore als Bub ein unruhiger Geist. Er litt unter dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom ADS, musste lange Psychopharmaka schlucken. Schwimmen begann er erst mit 11, zuerst nur, um sich dort auszutoben.

Doch Schwimmtrainer Bob Bowman, der einmal zufällig am Beckenrand stand, ahnte sofort, dass der Therapie die Triumphe folgen würden. „Nichts und niemand wird ihn stoppen.“ Er sollte Recht behalten.

Mit 15 in Sydney bereits bei Olympia, inzwischen hat er neben seinen neun Goldmedaillen 17 WM-Titel gesammelt und 24 Weltrekorde aufgestellt.

„Er ist ein großes Vorbild für Amerikas Jugend“, sagte Kevin Tibbles gestern Mittag im Aqua Cube zur AZ. Tibbles ist Schwimm-Reporter für den US-Sender NBC, den Olympia-Monopolisten im amerikanischen Fernsehen. „Stars wie Phelps werden als Helden verehrt“, sagte Tibbles, „das sind Vorbilder ohne Skandale.“ Zumindest fast ohne, schließlich erwischte ihn die Polizei 2004 mit 0,8 Promille am Steuer, wofür er dann zu 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung verdonnert wurde. Das ist in Amerika längst vergessen.

Und dort gibt es auch kaum Spekulationen, wie die Flut an Weltrekorden im Wasser von Peking zu erklären ist.

Um neun Zehntel steigerte Phelps die Bestmarke gestern über die 200 Meter Freistil, gar um 1,41 Sekunden am Sonntag über die 400 Meter Lagen, dazwischen gab es auch mit der Staffel eine neue Bestmarke. 3,99 Sekunden besser als die alte. Doch auf die Frage der AZ, ob es in Phelps’ Heimat nicht auch einen faden Beigeschmack gebe, da machte Tibbles nur erstaunt große Augen. „Nein, da würde ich doch niemand verdächtigen“, sagte er.

Auch nicht, weil Doping-Dealer Angel Heredia erst diese Woche in einem „Spiegel-online“-Interview erklärt hatte, dass „saubere Höchstleistungen ein Märchen“ seien? Auch nicht wegen überführter Helden wie etwa Sprinterin Marion Jones oder Justin Gatlin oder den hartnäckigen Gerüchten um Rad-Star Lance Armstrong? „Auf keinen Fall“, entgegnete Tibbles, „diese Geschichten tun der Leistung von Phelps doch keinen Abbruch.“ Zweifel sind unerwünscht. Deswegen hat Phelps auch weiter gut lachen.

Locker und beschwingt erzählte er gestern noch, dass er abends im Olympischen Dorf immer Pasta und Pizza essen würde, danach dann früh ins Bett gehen und meistens bereits um halb 5 schon wieder aufstehen würde.

Dann gab es noch eine Frage an ihn, wer ihn denn seiner Meinung nach auch einmal schlagen könnte. Phelps dachte lange nach, dann zuckte er mit den Schultern und sagte: „No idea.“ Keine Ahnung.

Er muss sich also auf absehbare Zeit keine Sorgen macht, wenn er vor dem Start sein Handtuch wieder ordentlich zusammenlegt. In aller Ruhe.

Florian Kinast

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