Tyson: "Nicht einmal der Tod mochte mich!"

Las Vegas - Die Stimme war brüchig, die Augen waren feucht. Mike Tyson, der sich einst als „bösartigsten Menschen auf dem Planeten” beschrieb, hatte eine alte Rechnung zu begleichen. Mit sich. Dem Lügner. „Ich bin ein krankhafter Alkoholiker. Ich habe alle belogen. Ich bin jetzt sechs Tage am Stück trocken, habe auch keine Drogen genommen. Für mich ist das schon fast ein Wunder”, sagte der 47-Jährige, der aller Welt vorgegaukelt hatte, dass er seit drei Jahren clean sei.
Es wurde eine Abrechnung mit sich selbst. So brutal, so schonungslos, wie Tyson in den 80er und frühen 90er Jahren im Ring war. „Ich stehe an der Schwelle des Todes. Ich habe viele schlimme Dinge getan. Ich versuche jetzt, Frieden zu schließen. Ich vergebe allen Menschen, auf die ich böse war und hoffe, dass die Leute, denen ich Böses getan habe, mir irgendwann verzeihen können”, sagte Tyson beim TV-Sender „ESPN”. „Wenn ich heute sterbe, würde ich mich so beurteilen: Überbezahlt und überbewertet. Ich versuche jetzt, dass mein Leben einen Wert hat. Ich trage viel Schmerz in mir – und ich hoffe, dass ich so meine Seele heilen kann.”
Für eine Generation an Box-Fans war Tyson ein Idol. Mit 20 Jahren und 144 Tagen wurde er 1986 der jüngste Schwergewichts-Weltmeister aller Zeiten, „Iron Mike” vernichtete die Konkurrenten wie Michael Spinks und Larry Holmes. Sie hatten der Naturgewalt Tyson nichts entgegenzusetzen. Doch hinter der Maske der Brutalität war er von Angst zerfressen. Er war im New Yorker Armenviertel Brownsville aufgewachsen, wurde dauerverprügelt, weil er diese hohe, feminine Stimme hatte. Tyson war das Opfer. Seine Mutter war Alkoholikerin, die sich mit Männern rumtrieb, der Vater machte sich aus dem Staub, als Mike zwei war. Als ein Schulschläger einer seiner geliebten Tauben „zum Spaß” das Genick brach, schlug Tyson zu. Er wurde zum Täter, zum Straßenräuber. Er kam in Besserungsanstalten. Dort entdeckte ihn Boxtrainer Cus d’Amato, der nahm ihn unter seine Fittiche. Der weiße alte Mann adoptierte seinen schwarzen Schützling sogar. Doch als d’Amato 1985 starb, verlor Tyson nicht nur seinen Trainer und Vater, er verlor seinen Halt.
Er wurde psychisch instabil, nimmt seit 25 Jahren Antidepressiva. Dazu Alkohol, Drogen. Er hielt sich einen Harem an Freundinnen, suchte sich ständig Prostituierte. Er heiratete, wurde geschieden, unternahm einen Selbstmordversuch. „Ich habe den Tod gesucht, aber nicht mal er mochte mich”, sagte Tyson. 1992 wurde er wegen Vergewaltigung zu zehn Jahren Knast verurteilt. 1996 kam er wegen guter Führung frei.
Doch im Ring hatte er seine Aura verloren. Tyson wurde zum Ringkannibalen als er Evander Holyfield ein Stück Ohr abbiss, er verlor gegen Nobodys wie Kevin McBride. Tyson verprasste sein Vermögen (ca. 300 Millionen Dollar), musste Insolvenz anmelden. Er wurde mit Drogen verhaftet. 2009 der nächste Schicksalsschlag. Tochter Exodus (4) stürzte in Tysons Haus auf einem Laufband und wurde von der Maschine stranguliert. „Warum musste sie sterben, nicht ich? Sie war unschuldig, ich das Gegenteil”, sagte er damals.
Es sah so aus, als hätte ihn der Schock geheilt. Tyson wurde vegan, nahm 45 Kilo ab, machte Entziehungskuren.
Doch es war nur eine Lüge. „Ich habe das alles nicht verdient. Nicht die Titel, nicht die Anerkennung, den Reichtum, die vielen schönen Frauen”, sagt Tyson, „ich habe nur ein Ziel: Liebe und Vergebung zu verbreiten. Vielleicht kann ich mir dann selbst vergeben. Wenn ich das nicht kann, werde ich weitersaufen und sterben. Ich aber will leben.”