Quo vadis, Türkgücü: "Es ist vogelwild. Keiner sagt uns was"

München - Donnerstag, Heinrich-Wieland-Straße. Auf diesen Tag, auf dieses Ereignis schaut die ganze Dritte Liga gebannt. Es ist der Tag der Entscheidung: Gehen beim Insolvenz-Klub Türkgücü die Lichter aus?
"Wir Spieler wissen gar nichts. Es ist vogelwild in diesem Verein: Keiner weiß, wie es weitergeht. Keiner sagt uns was", sagte ein Spieler, der nicht genannt werden will, der AZ frustriert.
Morgen soll es aber nun endlich Gewissheit geben, denn da wird Insolvenzverwalter Max Liebig im Rahmen einer Betriebsversammlung die Karten auf den Tisch legen. "Da bekommen wir dann gesagt, wie es aussieht: Ob es vorbei ist, ob es weitergeht - oder was auch immer", meinte Trainer Andreas Heraf, nachdem Geldgeber Hasan Kivran bekanntlich ausgestiegen ist und die Gehälter über die Agentur für Arbeit nur noch bis Ende März gesichert sind.

Aber, wie die AZ aus Spielerkreisen erfuhr: Die Mannschaft wurde mit Aussagen bei der Stange gehalten, dass es doch irgendwie weitergehen könne. Schon im Winter wollte Liebig wechselwillige Spieler nicht gehen lassen, um den Wert des Klubs nicht zu verringern. Selbst jetzt noch heißt es aus der Mannschaft - zumindest vom größten Teil -, dass sie die Saison anständig zu Ende bringen und nicht einfach aus der Wertung verschwinden will.
Türkgücü: Kompletter Gehaltsverzicht kommt nicht infrage
Ein kompletter Gehaltsverzicht, wie von Kapitän Alexander Sorge angedeutet, kommt für das gesamte Team allerdings nicht infrage und wäre auch nicht so einfach umsetzbar: Schließlich können die Kicker nicht ohne Versicherungsschutz auflaufen. Mögliche Lösung: Ein Teilverzicht, bei dem die Profis die Saison beenden und dadurch auch weiter halbwegs professionelle Trainingsbedingungen in der Bezirkssportanlage im Münchner Osten vorfinden würden. Zumindest, falls Insolvenzverwalter Liebig eine Einigung erzielen und die nötigen finanziellen Mittel zusammenkratzen kann. Mehr als fraglich.

Sportlich hatte sich Türkgücü mit dem Sieg gegen Borussia Dortmund II (1:0) und dem Sensations-Erfolg gegen Spitzenreiter 1. FC Magdeburg (2:1) bis zuletzt gewehrt, bevor es im womöglich letzten Duell gegen den SV Wehen Wiesbaden am vergangenen Sonntag im Olympiastadion eine 0:1-Pleite setzte. Coach Heraf verabschiedete sich hernach schon mal vorsorglich von den Fans.
In der Mannschaft schwankt die Stimmungslage zwischen Bangen und Hoffen, wobei das Gros nach AZ-Informationen an eine Einstellung des Spielbetriebs glaubt. Viele Spieler schauen sich längst nach neuen Arbeitgebern für die kommende Saison um, schließlich wären selbst im unwahrscheinlichen Fall der Fortsetzung des Spielbetriebs des ersten Migrantenvereins im deutschen Profifußball viele Fragen ungeklärt.
Kann es in der Regionalliga weitergehen?
Geht es dann nur solange weiter, dass Türkgücü in der Wertung bleiben kann (dies ist ab dem fünftletzten Spieltag der Fall)? Kann es in der Spielzeit 2022/23 in der Regionalliga weitergehen, in der die Spieler einen sportlichen Abstieg in Kauf nehmen müssten und der Klub zudem auch eine gewisse Finanzkraft benötigt? Oder gegen jede Wahrscheinlichkeit doch noch mit einem neuen Investor, der nur im Falle einer doch noch verminderten DFB-Strafe (elf Punkte Abzug) und der dennoch unsicheren Drittliga-Perspektive einsteigen würde?
Das Gerücht aus Saarbrücken, FCS-Präsident Hartmut Ostermann könne dem Drittliga-Konkurrenten den Spielbetrieb finanzieren, hat für ein kurzes Aufflackern der Hoffnung gesorgt. Kein Wunder, dass auch Vereinssprecher Peter Müller den DFB in die "verdammte Pflicht" nahm, ein vorzeitiges Aus und die damit einhergehende Annullierung aller Ergebnisse zu verhindern. Die Saarländer wären schließlich mit sechs Zählern Abzug der größte Verlierer und ihrer guten Aufstiegs-Aussichten beraubt. Doch auch der "türkischen Kraft" ist klar, dass ein solches Szenario unrealistisch und wohl aufgrund der Statuten auch untersagt ist. Selbst etwaige Mittel aus dem DFB-Kautionsfonds (in Höhe von einer Viertelmillion Euro) müssten zurückgezahlt werden und würden im Falle von Türkgücü auch gar nicht bis Saisonende ausreichen.
Sieht also ganz nach einem traurigen Ende für Türkgücü aus - das inmitten der Drittligisten ausgerechnet Rivale 1860 von der Grünwalder Straße als größtem Profiteur zum Comeback im Aufstiegsrennen verhelfen würde.