Alexander Schmidt: "Der Verlust von Sararer wäre der Super-GAU"

München - Alexander Schmidt hat in diesem Sommer das Traineramt bei Drittliga-Aufsteiger Türkgücü München übernommen. Der 52-jährige Ex-Coach des TSV 1860 im AZ-Interview.
AZ: Glückwunsch, Herr Schmidt. War der Sieg gegen Dresden einer der wichtigsten Ihrer Karriere?
ALEXANDER SCHMIDT: Naja, ich habe auch mit den Löwen und in Österreich ein paar große Erfolge gefeiert. Aber klar, der Sieg gegen den Spitzenreiter Dresden war natürlich sehr wichtig für uns.
Trainer Schmidt: Mannschaft ist "sehr willig und auch sehr hungrig"
Es heißt immer: Trainer müssen es schaffen, in die Köpfe ihrer Spieler zu kommen. Wie ist es Ihnen gelungen, dass Ihre Jungs die letzten Wochen und die damit einhergehende Unsicherheit um das Engagement von Präsident Hasan Kivran für die 90 Minuten gegen Dresden komplett ausblenden konnten?
Natürlich mussten wir im psychologischen Bereich mit ihnen arbeiten, es war ja auch ungewiss, wie es weitergeht bei Türkgücü. Deshalb ein großes Kompliment an meine Spieler, dass sie ihre Leistung so abgerufen haben. Der Schlüssel ist, dass die Mannschaft einfach einen guten Charakter hat. Sie ist sehr willig und auch sehr hungrig.
Dabei hätte angesichts der Ereignisse der letzten Wochen - immerhin stand ja das Projekts Türkgücü auf der Kippe - wahrscheinlich jeder verstanden, wenn die Zukunftssorgen ihren Profis noch in den Kleidern gehangen hätten.
Aber wenn man als Fußballer auf den Platz geht, denkt man doch nicht mehr daran, was drumherum passiert.
Türkgücü-Präsident Hasan Kivran bringt viel Emotion und Energie
Kam also das Spiel gegen den Spitzenreiter sogar genau zum richtigen Zeitpunkt?
Es war gut, dass wir uns jetzt wieder auf das Sportliche konzentrieren konnten. Aber Dresden ist eine Spitzenmannschaft, das wäre mit Sicherheit auch später noch ein schwieriges Spiel gewesen.
Hasan Kivran hat am vergangenen Samstag der Mannschaft in der Kabine persönlich seine Entscheidung, nun doch weitermachen zu wollen, mitgeteilt. Wie haben Sie ihn dabei erlebt?
Hasan ist ja immer sehr emotional. Er ist jemand, der Menschen extrem mitreißen kann, das hat er im Blut. Ich bitte ihn deshalb auch öfters, in die Kabine zu kommen. Und am Samstag hat er das mal wieder unnachahmlich gemacht. Das hat uns sehr gepusht. Es gibt einfach so Menschen - wie zum Beispiel auch ein Matthias Sammer - die haben so eine unglaubliche Power in ihrer Ansprache, da überträgt sich so eine Energie - das ist Wahnsinn.
"Für mich steht und fällt bei Türkgücü alles mit Hasan Kivran"
Der Präsident hat mit seiner Ankündigung, sich zurückzuziehen, für große Turbulenzen im Verein gesorgt, trotzdem haben Sie die ganze Zeit gehofft, dass er es sich nochmal anders überlegt. . .
Absolut. Für mich steht und fällt bei Türkgücü alles mit Hasan Kivran. Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es schwierig,
einen Investor zu finden, der sich so engagiert wie er.

Höchst engagiert waren auch Ihre Spieler gegen Dynamo - vor allem in der Defensive. Wie haben Sie einen Freigeist wie Sercan Sararer dazu gebracht, so konsequent nach hinten mitzuarbeiten?
Wir haben klare Vorgaben und wenn sich unsere Offensiven nicht daran halten, werden wir so ein Spiel auch nicht gewinnen. Wir haben übrigens in Verl und in Meppen (1:0 und 4:1, Anm. d. Red.) auch schon sehr kompakt gestanden - und es ist gut, dass wir jetzt diese Flexibilität in unserem Spiel haben. Wir können Angriffs- und Mittelfeld-Pressing und wir verteidigen gut. Aber das spricht natürlich auch für meine Spieler, dass sie schnell erkannt haben, dass taktische Disziplin im Fußball nun mal das A und O ist.
Von Spiel zu Spiel denken
Ihr Kapitän Sararer hat nach dem Spiel von großen Zielen gesprochen. Was hat er damit gemeint, den Aufstieg vielleicht?
Nach so einem Sieg überkommt einen natürlich die Euphorie, aber ich muss die Jungs da schon ein bisschen bremsen. Wir wollen eigentlich nicht über Ziele sprechen, denken immer nur ans nächste Spiel. Warum sollen wir uns jetzt unter Druck setzen? Und sollten wir irgendwann in Tabellenregionen reinrutschen, wo es um mehr geht, dann nehmen wir es gerne an.

Klingt nach: Alles kann, nichts muss!
Druck haben wir schon auch. Aber den machen wir uns selber, denn wir sind schon ehrgeizig. Und unser Präsident hat natürlich auch eine Erwartungshaltung.
Um der gerecht zu werden, brauchen Sie Leistungsträger wie Sararer oder auch ihren Top-Torjäger Petar Sliskovic. Haben Sie die Sorge, dass bis zum Transferschluss am 1. Februar ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, für einen der beiden hereinflattert?
Als Erstes bin ich stolz, dass so etwas überhaupt ein Thema ist. Denn das ist auch ein Beleg dafür, dass wir gut gearbeitet und die Jungs entsprechend gefördert haben. Alles andere kann ich nicht wirklich beeinflussen. Man kann nie etwas ausschließen, aber Sercan ist mein Kapitän, sportlich wäre sein Verlust der Super-GAU. Aber man muss natürlich auch immer die sportlichen und wirtschaftlichen Aspekte abwägen.