Zu Besuch bei den Hymnen-Machern des TSV 1860: Als Werner Lorant zum Risiko-Faktor wurde

München - Inning am Holz – eine idyllische Gemeinde im hügeligen Erdinger Holzland, rund 15 Kilometer östlich der großen Kreisstadt. Relativ unscheinbar liegt am südlichen Ortseingang des 1600-Seelen-Örtchens gegenüber eines kleinen Wäldchens ein oranges Bürogebäude, in dessen Keller sich ein besonderer 1860-Ort verbirgt: die Q7 Studios, Wiege der legendären Vereinshymne "Stark wie noch nie" sowie unzähliger blauer Nachfolgesongs.
Es ist das Reich des Produzenten und Songwriters Horst Haubrich (61). Zusammen mit Christian Werner (62) - nein, nicht der neue Löwen-Sportchef in spe, sondern der Geschäftsführer der Ismaninger Hochschule für angewandtes Management - baute er Anfang der 90er Jahre das Gebäude, in dem sie sich als Duo "Pete Winter" (Haubrich) und "Steve Summer" (Werner) musikalisch verwirklichten.
TSV-1860-Hymne: Die E-Gitarre spielte ein Weltrekordler
1993 kam es zur schicksalhaften Begegnung mit dem TSV 1860 - es war die Zeit des Durchmarsches von der damals drittklassigen Bayernliga in die Bundesliga. Haubrich und Werner entwickelten gemeinsam mit dem Spielerberater Michael Koppold (er riet den Löwen anno 1980, einen gewissen Rudi Völler zu verpflichten) die Idee einer Vereinshymne und stießen beim damaligen Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser auf offene Ohren. Haubrichs Ziel: "Das ganze Löwen-Flair zu transportieren, das war mir ein Anliegen. Die Einigkeit und Leidensfähigkeit der Fans haben mich beeindruckt." Es folgten zahlreiche Gespräche mit Verantwortlichen und Anhängern (u.a. mit dem 1860-Fanklub Taufkirchen/Vils aus der Nachbarschaft), Recherchen über die Löwen-Historie und ihre Songs.

Nach einigen Wochen des Feilens war "Stark wie noch nie" geboren und der Verein begeistert. "Es hat alles gepasst - ganz viele positive Faktoren kamen da zusammen, auch welche, die man nicht beeinflussen kann", sagt Haubrich über die Hymne, in der neben der unverkennbaren Rock-Stimme von Sänger Michael Benker auch ein waschechter Weltrekordler zu hören ist. Den markanten E-Gitarren-Sound spielte Peter Prestel ein, der damals als schnellster Gitarrist der Welt im Guinness-Buch der Rekorde stand. Haubrich grinst: "Der war irre."
"Stark wie noch nie" war Startschuss für zahlreiche TSV-1860-Hits
Zu dieser Zeit stieß auch Songwriter und Countrysänger Mark Bender (64) zum Duo, der bei "Stark wie noch nie" noch im Chor mitsang, später aber mitkomponierte, mittextete und vor allem die konzeptionelle Vermarktung in Zusammenarbeit mit der 1860-Marketingabteilung übernahm. "Richtig eng und erfolgreich wurde die Zusammenarbeit, als Ex-Löwe Roland Kneißl und Sepp Wazlawik die Fanartikel GmbH übernahmen", erinnert sich Bender, der mehrere Gold- und Platin-Auszeichnungen erhielt, mehrfach für den Echo nominiert war und bis heute unter anderem Texte für Voxxclub, Roland Kaiser, Beatrice Egli oder Ross Antony schreibt. Bender ist der Fußball-Enthusiast des Trios: "Ich bin für jeden bayerischen Verein, aber am meisten für Sechzig und den Club."
Nach dem Erfolg von "Stark wie noch nie" formte das Trio das "TSV 1860 Party Project" mit fast jährlich neuen Alben der Reihe "Songs für Fans". Die Titel-Liste ist lang: "Ein Herz für die Löwen", "Löwenstolz", "Einmal Löwe Immer Löwe", "Herz von Giesing" und viele mehr. Mit "Weiß-blau TSV" ("Sierra Madre", nach einer Idee von Ex-Stadionsprecher Stefan Schneider) oder "Ein Stern der Deine Farben trägt" ("Ein Stern der Deinen Namen trägt") hat das Trio auch Coverversionen bekannter Charthits im Sechzig-Style produziert.
"1860 Liter Bier" und "A Rote kommt mir ned ins Haus"
Auch witzige Songs mit Augenzwinkern durften nicht fehlen, darunter "A Rote kommt mir ned ins Haus", ein Lied über die (vermeintlich) ausgeschlossene Beziehung eines Löwen zu einem Bayern-Fan. Bender: "Das Lied ist ganz weit vorne, es ist in nur zwei, drei Stunden entstanden." Wie kommt man auf solche Ideen? "Das sind einfach Inspirationen – im Auto, im Garten, beim Stadtbummel. Das kann auch ein aufgeschnappter Satz oder ein Graffiti sein." Ein weiterer Löwen-Gassenhauer heißt "1860 Liter Bier": "Ich wollte etwas Rockiges mit einem witzigen Text im Stil von 'Zehn kleine Jägermeister' machen, das für Partystimmung sorgt."

Eine besondere Stellung nimmt "Sechzig ist unser Leben" aus dem Jahr 1998 ein. Nicht nur, dass die CD die Form eines Löwen hatte. Die Idee stammte vom Münchner Gynäkologen, Hobby-Musiker und 1860-Lebensmitglied Dr. Claus Schulte. Die Stadionbesuche mit seinen Kindern inspirierten ihn. "Wir schickten ein paar Demo-Kassetten an einige Fanclubs", erinnert er sich. "Die waren begeistert und spielten den Song bei Fan-Treffen rauf und runter." Das blieb dem Produzenten-Trio nicht verborgen, sodass sie die Hymne professionell aufnahmen.
Sechzigs Trainer-Legende Werner Lorant ließ mehrmals eine Aufnahme platzen
All das entstand in den Studios in Inning am Holz, wo sich auch einmal Sechzig-Spieler zur Aufnahme von "Steht auf, wenn ihr Löwen seid" einfanden – wenn auch mit Anlaufschwierigkeiten. "Bernhard Winkler, Horst Heldt, Paul Agostino, Holger Greilich und Harald Cerny waren fest eingeplant", erinnert sich Bender.

"Leider kam aber mehrmals montagmorgens der Anruf, dass die Aufnahme nicht stattfinden könne, weil die Mannschaft am Wochenende verloren hatte und Trainer Werner Lorant keine Freigabe erteilte, sondern die Spieler Extra-Schichten auf dem Trainingsplatz absolvieren mussten." Als es aber doch klappte, habe eine ausgelassene Stimmung im Studio geherrscht – singen macht dann eben doch mehr Spaß als Straftraining.
Über viele Jahre waren "Pete Winter", "Steve Summer" und Mark Bender wahre Löwen-Hit-Maschinen, die genaue Anzahl ihrer produzierten Songs können sie nicht mehr nennen. Übrigens erschufen sie auch "Die Legende lebt", die Hymne des 1. FC Nürnberg. Doch Mitte der Nullerjahre flaute das Geschäft mit den Fußball-Alben ab. "Meinen Ansprechpartnern bei 1860 wurde gekündigt, zudem lief die Zeit der CDs mit Blick auf Downloads und Streams langsam ab", erklärt Bender. Heute kommen die populärsten Sechzig-Songs von lokalen Löwen-Bands wie den Vorstadtkönigen ("Mit Leib und Seele") oder Lustfinger ("Löwenmut").

"Zurzeit ist es natürlich ein Trauermarsch, aber der TSV 1860 ist ein Rocksong"
Rockig, laut, emotional – ist es genau dieser Stil, der 1860 musikalisch verkörpert? Horst Haubrich findet ja. "Zurzeit ist es natürlich ein Trauermarsch", grinst er, "aber Sechzig ist ein Rocksong, eine Rock-Ballade, die das Löwen-Gefühl auch rüberbringt. Eine schnelle Up-tempo-Nummer würde da nicht funktionieren." Bis heute zählt vor allem "Stark wie noch nie" bei Löwen-Fans jeden Alters zu den beliebtesten Hymnen. "Ein tolles Gefühl, dass der Song, der ja schon so alt ist, heute noch so eine Wirkung hat", sagt Haubrich stolz. "Das zeigt, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hat."
Noch immer würden ihm Fans begeistert die Hand schütteln, wenn sie erfahren, dass einst er die Ode schrieb. Aus dem beschaulichen Inning am Holz hinaus in den lauten und emotionalen Löwen-Kosmos. Für das Trio ist die Arbeit an den Löwen-Hymnen bis heute ein Highlight ihrer Karriere.