Wo’s menschelt in Giesing
Am Samstag sollen 15.000 Fans ins Sechzger Stadion zu einem Viertliga-Spiel der kleinen Löwen gegen Freiburg kommen.Ihr Motiv: Liebe.
MÜNCHEN Mit Worten ist Manfred Stoffers, der Löwen-Geschäftsführer, oft treffsicherer als mancher 1860-Profi am Ball. Stoffers sagt also: „Dieses Spiel wird für viele der absolute Höhepunkt der ansonsten durchwachsenen Saison sein. Tausende Löwen werden kommen. Ein bewundernswerter Kraftakt, der zeigt, wie stark und frisch diese Liebe der Fans zum Grünwalder Stadion ist.“ Stoffers spricht vom Spiel des TSV 1860 II am Samstag (14 Uhr) gegen Freiburgs U23. Sportlich ein bedeutungsloser Kick. Politisch ein wichtiger.
Die Faninitiative „XXX-Tausend“ hat zur Großdemonstration in Giesing aufgerufen: 15000 Zuschauer, so hoffen die Organisatoren, sollen zum Spiel kommen. Das wäre Rekord für eine Viertliga-Partie (bisher: 14020 bei Union Berlin gegen BFC Dynamo, 2005).
Vor allem aber: Ein solcher Ansturm wäre ein erneuter Beleg für die Bedeutung des Sechzger. Ein Signal wider alle Tendenzen, die marode Spielstätte zu sperren oder abzureißen. Eine Sympathiekundgebung für eine Kultstätte, die den Fans ans Herz geht. Das Sechzger: Irgendwie ist es wie die älteste Verwandte, von der sich die blaue Familie niemals trennen mag. Auch und gerade weil die alte Dame so eine bewegte Biografie hat.
Die Entstehung
1911, das Stadion kostet 14000 Mark. Der Bauunternehmer: Syrus Süss. Die erste Tribüne ist aus Holz, das Streichholzschachterl. 1860 wird Pächter.
Die Geburt
Am 23. April 1911 wird das erste Fußballspiel ausgetragen. 1860 siegt 4:0 gegen den MTV 1879.
Das Heranwachsen
Das Stadion wird zur Heimat. 1860 beschließt 1922, das Gelände zu kaufen und das Sechzger auszubauen. 1600 Zuschauer auf der Sitztribüne bekommen ein Dach überm Kopf. Und vor allem: Es entsteht die später legendäre Stehhalle mit 20000 Plätzen in Stahlbetonweise. Bis zu 35000 Fans passen hinein.
Die Lehrzeit
1937 machte 1860 die bittere Erfahrung, dass einem Klub das Geld ausgehen kann (man lernt nie aus, die Löwen wissen das bis heute). Der Verein verkaufte das Stadion, seinen teuren Liebling, für 357560 Reichsmark an die Stadt. 1943 wird das Betonrund durch Fliegerangriffe schwer beschädigt. Die Kriegsfolgen sind noch unübersehbar, als 1948 im März 58200 zum Derby gegen den Club kommen. Rekord.
Die besten Jahre
Die Sechzger feiern in den Sechzigern im Sechzger ihre größten Triumphe, beinahe jährlich. 1963: Oberliga-Meister, 1966 Deutscher Meister. Zwischendurch Pokalsieger und Europapokal-Finalist.
Das Alter
1971 Feuer im Dachstuhl, Brandstiftung. 1972 deckt ein Orkan die Stehhalle ab. 1978 wird die abgerissen. Junge Rivalen ziehen am Stolz von einst vorbei. Das Olympiastadion, zuletzt die Allianz Arena. Das Sechzger wird zum Austragsstüberl. Aber es lebt. Es menschelt. Florian Zencker von „XXX-Tausend“ sagt: „Es ist ein Stück Heimat, das zu Giesing gehört wie die Frauenkirche zu München.“ Samstag soll das sichtbar werden.
Boris Breyer