„Wir korrigieren das“

Wie Trainer Marco Kurz die Löwen aus der Krise führen will – und was ihn dennoch dazu bewegen könnte, seinen Job beim Zweitliga-Letzten aus Giesing vorzeitig aufzugeben.
AZ: Der TSV 1860 in seiner schwersten Krise seit dem Abstieg 2004: Herr Kurz, wissen Sie was vor 47 Jahren war?
MARCO KURZ (überlegt): Nein, da habe ich noch gar nicht gelebt. Was war da?
Zum einen hat der grandiose Schriftsteller Ernest Hemingway Selbstmord begangen, zum anderen hat der TSV 1860 dreimal hintereinander in der Oberliga Süd verloren...
Okay, jetzt weiß ich das auch.
Die aktuelle Löwen-Mannschaft mit Ihnen als verantwortlicher Trainer hat mit dem jüngsten 1:2 in Ahlen diesen Uraltrekord von 1961 eingestellt: 1860 ist nach drei Spieltagen in der Zweiten Liga Letzter – mit null Punkten. Wie vor 47 Jahren.
Ich schaue nicht in die Vereins-Annalen, das ist ein bisschen hoch gegriffen. Aber jetzt bin ich informiert. Grundlegend findet man bei jeder Statistik eine Serie, die ich aber nicht ran ziehe. Natürlich mache ich mir Gedanken, warum es nach einer guten Vorbereitung und nach positiven Eindrücken nicht läuft.
Wundern Sie sich wirklich? Schon das erste Halbjahr verlief katastrophal, 1860 wurde Rückrunden-Letzter. Inzwischen liest sich Ihre Bilanz 2008 noch niederschmetternder: Nur zwei Siege in 20 Spielen...
Ich weiß, dass ich momentan wenig Argumente habe. Ich stelle mich der Kritik, weiß aber, dass ich sie nur entkräften kann, wenn 1860 auf die Erfolgsspur zurückfindet. So eine Serie ist auch für mich ein Moment, der nicht schön ist. Da will ich nichts schönreden, aber auch nicht den Fehler machen, das dies dann auch das endgültige Bild ist. Ich habe die feste Überzeugung, dass wir das korrigieren können. Letztendlich muss man eine längere Frist beurteilen, um das endgültig zu bewerten. Nach zehn Spielen ist eine Tendenz erkennbar, im Winter kann man Halbjahresbilanz ziehen.
Was ist mit der Weiterentwicklung, die Sie bei Ihrem Dienstantritt im März 2007, versprochen hatten?
Momentan ist es so, dass wir viele Bereiche nicht so abdecken, wie wir es schon gemacht haben. Das ist richtig. Wir hängen grad ein bisschen durch, was die Kompaktheit und das Spiel nach vorne betrifft. Natürlich ist es unzureichend, was wir bieten und fußballerisch zeigen.
Möglicherweise ist das Montagspiel am 15. September gegen den MSV Duisburg schon ein „Darf-ich-bleiben-oder- nicht“-Finale für Sie...
Es gilt jetzt nicht, meinen Hintern zu retten, sondern es geht darum, 1860 schnell wieder erfolgreich zu machen. Und da sind Personen wie der Trainer in diesem Moment nicht relevant.
Und wenn doch, wären Sie wohl nach dieser Negativserie als Cheftrainer wohl kaum mehr vermittelbar im deutschen Fußball. Das Beispiel Reiner Maurer, der nach Quoten erfolgreichste Löwen-Trainer nach dem Bundesliga-Abstieg, zeigt, dass es nach 1860 schwer ist einen guten Job zu finden. Maurer dümpelt inzwischen in der Zweiten Liga Griechenlands herum.
Ich mache mir keine Gedanken über ein mögliches Scheitern. Ich glaube an mich und meine Arbeit. Mein Ansporn ist, diesen Negativlauf zu durchbrechen.
Die Löwen-Fans sind weniger geduldig als Sie: Viele fordern Ihre Ablösung, in den Internet-Foren wird sogar schon über mögliche Nachfolger wie Klaus Toppmöller oder Volker Finke diskutiert.
Es ist normal, dass in so einer Situation, über Trainer diskutiert wird, dass sich Ehemalige, Ex-Trainer oder Zukünftige melden. Ich kenn’ die Mechanismen, ich war 15 Jahre Profi. Ich bin auf alles vorbereitet. Aber nichts würde ich lieber machen, als unsere Fans glücklich zu machen.
Mal ehrlich: Setzen Sie sich ein persönliches Ultimatum?
Nein, zielgerichtet ist jetzt das Spiel gegen Duisburg. Der Fokus auf meine Person wird noch größer sein als zuletzt, aber ich habe das große Vertrauen in die Mannschaft, dass sie diesen Befreiungsschlag landet.
Sie wirken so, als würden Sie an Ihrem Job kleben?
Mir macht es weiterhin sehr großen Spaß als Trainer bei 1860 arbeiten. Nur wenn ich merke, es geht in eine Privatsphäre die nicht mehr tragbar ist, dann höre ich auf. Es gibt für alles eine Schmerzgrenze.
Wer hilft in Ihrer schwersten sportlichen Krise?
(lacht): Ich habe meine Freunde nicht verloren. Es ist immer wieder schön, wenn ich nach dem Training heimkomme und die Kinder um mich habe. Bei den Kindern ist eine Unbekümmertheit dabei, da ist das Abschalten garantiert.
Themawechsel: Warum schützen Sie Ihre Mannschaft ständig so?
Ich muss keine Parolen raushauen, ich komme immer auf den Punkt – aber intern. Das ist der Punkt. Ein Beispiel: Bevor ich rausposaune, ihr müsst Gras fressen, dann stell ich lieber die Frage, wer muss wann, wie und wo Gras fressen. Ich sag’ lieber auf der und der Position musst du das so machen. Es ist doch nicht so, dass wir bei den bisherigen Gegentoren hergespielt worden sind. Wir machen immer wieder nur kapitale Fehler.
Ihr Führungsstil funktioniert aber offensichtlich nicht so richtig. Haben Sie auch Fehler gemacht?
Natürlich überprüft sich auch ein Trainer, aber wir sind trotzdem der Meinung, dass wir sehr genau arbeiten und alles abdecken, sehr fleißig sind. Aber die Bewertung ist natürlich richtig, dass wir keine Kompaktheit auf den Platz bekommen. Wir arbeiten jetzt sehr akribisch, versuchen Fehler zu minimieren – und bald anders aufzutreten. Denn auch ich bin mir bewusst, dass jetzt nur noch Siege zählen. Es fehlt einzig ein Erfolgserlebnis – in einem, das betone ich, Pflichtspiel.
Sportdirektor Reuter meinte in „Blickpunkt Sport“, dass das Fehlen der vier U19-Europameister ein Grund für den Fehlstart sei. Macht es sich 1860 da nicht zu leicht?
Das Fehlen der Vier ist keine Entschuldigung für unseren Start, aber ein Mosaiksteinchen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass diese Spieler für uns wichtig sind: Lars und Sven Bender haben letzte Saison jeweils 27. bzw. 28 Spiele gemacht, auch ein Timo Gebhart ist in diesem Jahr schon weiter. Sie werden noch sehr wichtig werden für uns, Florian Jungwirth braucht aber noch.
Interview: Oliver Griss