Wildmoser junior erinnert sich: "Werner Lorant war beleidigt und hat sich in der AZ dann revanchiert"

München – Der Kaiser hatte genug gesehen und auch gehört, im Oktober 2009. Franz Beckenbauer war Gast in der 1500. Jubiläumssendung von "Blickpunkt Sport", doch angesichts des ihm dargebotenen Schauspiels verhagelte es ihm die Feierstimmung ganz gehörig.
So verließ er die Sendung etwas vorzeitig und raunte entgeistert: "Die zwei führen sich auf wie beleidigte Leberwürscht." Dann entschwand der Franz in die kalte Herbstnacht von Freimann.
Die zwei Leberwürste waren der aus der Schweiz zugeschaltete Werner Lorant und Karl-Heinz Wildmoser im Studio. Die beiden beschimpften sich und überzogen sich mit Vorwürfen. Acht Jahre, nachdem Wildmoser Lorant bei den Löwen vor die Tür gesetzt hatte, herrschte noch immer Verbitterung und frostige Eiszeit.
Wildmoser und Lorent waren sich nicht immer grün
In seiner ihm eigenen Mischung aus Sturheit, Stolz und Selbstmitleid legte Wildmoser tags darauf noch nach und klagte: "Ich hab Lorant vorher nicht gekannt und nachher nicht. Mich hat 1860 Geld gekostet, ihm hat's Ruhm und Ehre gebracht. Ohne mich würde Lorant heute noch im fränkischen Raum irgendeinen Amateurklub trainieren." Und dazu: "Er ist mir wurscht." Wenn nicht sogar Leberwurscht.
Dabei wirkten sie lange unzertrennlich, als Inkarnation von Pech und Schwefel, zwischen die beiden passte kein Schnurrbarthaar. Lorant und Wildmoser, der Maurersohn aus Westfalen, der Schusterbub aus Pasing. Ähnlich waren sie auch in ihren phänomenalen zwischenmenschlichen Umgangsformen.
Es war nach einem Auswärtsspiel im Parkstadion von Schalke, vor dem Heimflug am Düsseldorfer Flughafen saß Lorant an einer Bar bei einem Pils, neben ihm paffte Wildmoser eine dicke Havanna. Als der Autor als damals noch junger AZ-Sportreporter die vermeintlich günstige Gelegenheit nutzen wollte, um sich den beiden in entspannter Atmosphäre erstmals persönlich vorzustellen, knurrte Lorant nur: "Hä? Mir doch egal." Und Wildmoser blies dem Journalisten den Zigarrenqualm ins Gesicht. Hüstl. Damit war der Ton für die nächsten Jahre gesetzt.
Unter Wildmoser und Lorant ging es bei 1860 steil nach oben
Natürlich hat auch Karl-Heinz Wildmoser viel mit den beiden erlebt. Der Junior, der Sohn des Präsidenten. Er war etwa dabei, als sich sein Vater und Lorant das erste Mal persönlich trafen, im Frühling 1992 in Hinterbrühl. Der alte Wildmoser war gerade zum Präsidenten gewählt worden und wollte Lorant unbedingt von Viktoria Aschaffenburg zu Sechzig holen. "Gleich bei dieser ersten Begegnung", sagte Wildmoser jr. Anfang dieser Woche zur AZ, "hast du gesehen: Das ist ein Typ mit Kanten und Macken."

Dumm nur, dass er außer Kanten und Macken auch einen bereits unterschriebenen Vertrag bei Borussia Fulda für die kommende Saison hatte. "Recht schnell kam ein erboster Anruf aus Hessen", so Wildmoser, "aber wir haben uns doch dann recht schnell drauf geeinigt, dass der Werner raus konnte aus dem Vertrag."
Unter dem selbstbewussten Alpha-Doppel Wildmoser und Lorant ging es schnell nach oben, der historische Durchmarsch von der dritten in die erste Liga, längst deutsche Fußballgeschichte. Natürlich ging es zwischen den beiden nicht immer eitel sonnig und harmonisch zu.
"Mein Vater und der Werner waren zwei starke Persönlichkeiten und Sturschädel", sagt Wildmoser, "und es hat auch oft deutliche Meinungsverschiedenheiten gegeben. Dann hat mein Vater mal wieder einem Journalisten von der Abendzeitung was erzählt, was der dann auch schrieb, dann war der Werner beleidigt und hat sich in der AZ dann revanchiert. Sie wissen ja selbst, wie's damals zugegangen ist." Richtig, nämlich genau so.
Lorant-Wunschspieler Winkler wurde von Wildmoser sofort brüskiert
Gut ging es, wenn sich jeder der beiden um seinen eigenen Zuständigkeitsbereich kümmerte. Wildmoser ums Geschäftliche wie auch um die bilderbuchbarocke Außendarstellung, Lorant ums Sportliche. Dass Lorant seinem Präsidenten wenig sportliche Kompetenz attestierte, das wird aus einer Anekdote deutlich, die Bernhard Winkler einmal erzählte. Lorant, unter dem Winkler schon in Schweinfurt gespielt hatte, wollte den gebürtigen Würzburger nach dem Zweitliga-Aufstieg 1993 unbedingt von Kaiserslautern nach Giesing holen.
Als die beiden zusammen nach Hinterbrühl fuhren, empfing Wildmoser den Stürmer mit der kernigen Herzlichkeit eines Wiesnwirts: "Aus Würzburg bist du? Des sog i dir glei, die Franken mog i überhaupts ned." Und weiter: "Nur dass du's woaßt, du bist bloß da, weil der…" – er deutete auf Lorant – "…di hamm woit. I hätt di ned ghoit."
Winkler wähnte sich nach eigenen Worten und völlig zurecht in einem Irrenhaus, er stand auf, ging und wollte zurück nach Lautern. Doch Lorant rannte ihm hinterher, erwischte ihn am Parkplatz und sagte: "Der Alte hat doch keine Ahnung, ich entscheide, wer geholt wird, nicht er."
Winkler unterschrieb, dann schoss er die Löwen in die Bundesliga. Zusammen mit Peter Pacult, über den Wildmoser bei der Verpflichtung noch jammerte: "Was woima mit dem Oidn? A Blinder. Den konnst hoamschicka." Als Pacult wenig später in den dritten Frühling seiner Karriere hineinblühte, sagte Wildmoser stolz: "A Guada. I hobs scho immer gwusst." Das Geschwätz von gestern? Wen interessiert's?
Ein Lokalderby beendete Lorants Zeit bei 1860
Und doch wäre die Geschichte der Löwen ohne das Duo eine andere geworden, davon ist Heinz Wildmoser überzeugt. "Sie waren die ganz klaren Väter des Erfolgs", sagt er. "Der Werner war sogar ein Geschenk Gottes." An einem malerischen Sommerabend im August 2000 erlebten sie das größte Spiel jener Ära, die Champions-League-Qualifikation, Sechzig gegen Leeds.
Wildmoser, der Alte, saß oben auf der Tribüne, mit ihm im Rund des Olympiastadions 56.000 Menschen. Der Präsident heulte Rotz und Wasser, es war, als hätte er sein Lebenswerk vollendet. Häßler traf die Latte, Leeds zum Gegentor, ein unglückliches Aus. Später scheiterte Leeds erst im Halbfinale an jenem FC Valencia, der Bayern im Endspiel ins Elfmeterschießen zwang. Was in blauer Löwen-Logik als Conclusio bedeutet, dass es im Endspiel der Champions League ja fast ein Lokalderby gegeben hätte.
1:5 Derby-Niederlage: Das Ende des Duos
Ein Lokalderby im Oktober 2001 beendete dann auch Lorants Zeit in München, das 1:5 gegen die Roten. "Werner", sagte Wildmoser bei einer nur dreiminütigen Unterredung an der Geschäftsstelle, "das funktioniert nicht mehr, das merkst du doch auch." Und Lorant erwiderte: "Ja, so ist leider unser Job.''
Lorant ging noch auf einen letzten Espresso zur Christl ins Löwenstüberl, dann war seine Zeit bei Sechzig vorbei. Zur Versöhnung mit Wildmoser kam es nie mehr.
Als Wildmoser 2010 starb, kam Lorant auch zur Trauerfeier auf den Waldfriedhof. Jetzt sind sie beide gegangen. Vielleicht streiten sie jetzt im blauen Himmel weiter. Oder sie denken an die guten alten Zeiten beim Löwen – und geben jetzt einfach auch mal a Ruh. Der Franz wird's ihnen danken.