Von Linde rechnet nach: Vier fehlen

In einem zweiseitigen Brief hat der Vereinsrat des TSV 1860 den Präsidenten Albrecht von Linde und seinen Vize Karsten Wettberg zum sofortigen Rückzug aufgefordert. Von Linde selbst wird kaum mitbestimmen dürfen, wer zu seinem Nachfolger gekürt wird - er hat aber seine Präferenzen.
MÜNCHEN Es ist ein Dokument, das deutlich belegt, wie es um die Unbeliebtheit des Präsidiums bestellt ist beim TSV 1860. In einem zweiseitigen Brief hat der Vereinsrat, ein unabhängiges Beratungs- und Kontrollgremium des Klubs, den Präsidenten Albrecht von Linde und seinen Vize Karsten Wettberg zum sofortigen Rückzug aufgefordert. Das Schreiben liegt der AZ vor.
Von Linde hat den Brief natürlich gelesen. Aber er schwächt dessen Bedeutung unverdrossen ab. „Es haben ja nicht alle unterschrieben“, sagte der Noch-Präsident.
Formal gesehen hat von Linde recht. Von den 15 Mitgliedern des Vereinsrates haben elf unterzeichnet. Die Mehrheit und Tendenz aber ist eindeutig – gegen von Linde. Zu den Vereinsräten, die das Präsidium zum Rücktritt auffordern, gehören auch die ehemalige Ski-Olympiasiegerin Marina Kiehl und der frühere Vizepräsident Wolfgang Hauner.
Ein Hauptvorwurf im Schreiben: „Für die vielfach gebrauchten Schlagworte Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit fehlt bis heute eine erkennbare Verwirklichung. Um weiteren Imageschaden von unserem bald 150-jährigen Verein abzuwenden, fordern wir die Herren Dr. Albrecht von Linde und Karsten Wettberg auf, einvernehmlich alle Ämter zur Verfügung zu stellen und mit sofortiger Wirkung zurückzutreten.“
Gestört in seiner Arbeit fühlt sich vor allem Andreas Kemmelmayer, der Abteilungsleiter der Fußballer. „Von Linde ist der falsche Mann am falschen Ort“, sagte Andreas Kemmelmayer der AZ. „Unser Präsident mag vielleicht privat ein netter Mensch sein, aber er ist unfähig. Ich habe Angst um meine Abteilung – und wir stellen immerhin um die 18000 Mitglieder. Mit von Linde hat einfach nichts funktioniert. Das ging schon bei der Etat-Aufstellung los.“
Wie reagiert von Linde auf die heftigen Attacken? „Dass ich zur Diskussion stehe ist klar“, meinte der 62-jährige Unternehmer, der seinen Rücktritt am Montag bei der außerordentlichen Aufsichtsratsitzung inzwischen selbst nicht mehr ausschließen mag: „Ich sage ganz deutlich: Es ist alles möglich. Vom sofortigen Aufhören bis zum Ende der Periode im September.“ Von Linde weiter: „Wenn ich am Montag spüre, dass das Präsidium und der Aufsichtsrat gegensätzlich denken, dann muss man sich trennen.“ Längst wird bei den Löwen nach einem Ersatz gesucht (siehe oben).
Von Linde selbst wird kaum mitbestimmen dürfen, wer zu seinem Nachfolger gekürt wird. Aber er hat Präferenzen – und eine Abneigung gegen einen der aussichtsreicheren Kandidaten: Otto Steiner.
„Ein Präsident Steiner“, sagte von Linde der AZ, „das wäre der worst case für 1860. Wenn ihm was nicht gefällt, schlägt er tollwütig um sich. Steiner wäre ein eklatanter Präsident für die Löwen-Zukunft.“ Lindes Argumente: „Steiner hatte nie Zeit für 1860, sondern nur seine Firma und Familie im Kopf. Außerdem baut er – soviel ich weiß – gerade ein Haus. Freizeit ist das Wichtigste, um diesen Job überhaupt bewältigen zu können. Und ich bin mir sicher, dass Steiner die Talfahrt der Löwen nicht stoppen kann.“
Das ist ihm selbst im Präsidentenamt freilich auch nicht gelungen. Oliver Griss