Vom Häufchen Elend zum Matador

Heute versuchen die gebeutelten Löwen, wieder einmal ein Heimspiel zu gewinnen. Jürgen Beckmann, Sportpsychologe und Dekan der Sportfakultät der TU München, sagt, wie’s klappen kann.
JÜRGEN BECKMANN (55): Es geht ganz schnell, dass ein Profi in einen Teufelskreis gerät, in dem er die Wahrnehmung hat, dass bei ihm nichts mehr klappt, egal was er versucht. In dem Moment, in dem er sich denkt, es funktioniert sowieso nichts, geht er automatisch zögerlich an die Sache heran. Sein Selbstvertrauen, das für den Fußballer ja von elementarer Bedeutung ist, geht verloren und er wirkt wie ein Häufchen Elend. Im schlechtesten Fall fühlt er sich dann auch noch vom Trainer ungerecht behandelt, weil der ihn nur noch selten berücksichtigt. Eine Lösung können Imaginationen sein, etwa wenn man sich an Erfolge, an entscheidende Tore, an ein spezielles Gefühl in einem Glücksmoment erinnert. Auch ein so genanntes Embodiment kann auf die Psyche zurückwirken: Wenn ein Fußballer wie Rakic es schafft, einfach mit stolz geschwellter Brust, mit dem Auftreten eines Matadors über den Platz zu laufen, dann wird er sich auch so fühlen. Dann könnten auch die Tore wieder fallen.
Gibt es einen Punkt, an dem ein Spieler ein Tief erreicht hat, von wo es nicht mehr schlimmer werden kann?
Nein, aber beim Versuch, alles richtig zu machen, geht immer mehr schief als man denkt. Zum Beispiel die Kreativität, die Lockerheit, das Ballgefühl. Ein Spieler macht sich dann selbst immer mehr Druck, doch dadurch kann er immer weniger befreit aufspielen und sein Potenzial ausschöpfen. Am Ende wirkt er dann wie das Kaninchen vor der Schlange, dem die Angst in jeder Bewegung deutlich anzusehen ist. Dann ist er wirklich nicht zu beneiden.
Welche Tricks wendet man in der Psychologie an?
Verschiedene, zum Beispiel bittet man einen Spieler, sich selbst zu modellieren, sich etwa als Statue darzustellen. Ich habe das mal erlebt, dass sich ein Spieler in gebückter Position mit einem symbolischen Baumstamm auf dem Rücken in eine Ecke gestellt hat. Dann haben wir darüber geredet, ob er ausprobieren möchte, wie es sich anfühlt, wenn er aus der Ecke rauskommt und den Baumstamm mit aller Macht einfach wegschmeißt. Er hat das gemacht und es kam ihm wie eine Befreiung vor. Oder man zeigt dem Spieler das Beispiel eines 50-Euro-Scheins, den man zerknüllt, auf den Boden schmeißt, mit den Füßen auf ihn trampelt, danach wieder auseinanderfaltet und fragt dann: Wie viel ist der jetzt wert? Der Spieler antwortet verwundert, dass der Schein ja immer noch den selben Wert habe. Wieso soll es bei einem Fußballer anders sein? Er verliert sein Können auch nicht so schnell.
Wieso neigen Fußballer dazu, nicht mehr öffentlich sprechen zu wollen, wenn der Erfolg ausbleibt?
Profis bauen im Falle des Misserfolgs sehr schnell Ängste auf, was mit ihnen in der Öffentlichkeit passiert, wie sie dargestellt werden. Es ist ja nicht so, dass sich Profis, wie viele Fans vermuten, keine Gedanken über ihre Situation machen, wenn der Erfolg ausbleibt. Nein, sie leiden sogar mehr als jeder Fan. Sie schämen sich auch dafür. Und wenn sie dann auch noch darüber reden sollen, gehen sie dem aus dem Weg und versuchen, sich damit selbst zu schützen. Das ist aber der falsche Weg, sie sollten offensiv mit ihren Sorgen umgehen.
1860 hat fünf Mal in Folge zu Hause nicht gewonnen. Der Zuschauerschnitt in der Allianz Arena sinkt. Machen Heimspiele da Spaß?
Die sozialpsychologische Forschung hat erwiesen, dass Heimspiele oft keinen Heimvorteil mit sich bringen. Es entsteht häufig sogar ein Heimnachteil, wenn sich bei Fans Dauerfrust und die Erwartung des Versagens eingestellt haben und Spieler das Gefühl haben, es wird nur darauf gewartet, dass sie wieder versagen. So kann sich ein Heimspiel zu einem Spießrutenlaufen entwickeln. Die Atmosphäre im Stadion spiegelt das wider, was ein Spieler wahrnimmt, wenn es also zu einer Interaktion zwischen Spieler und Fan kommt, kann die auch negative Auswirkungen haben.
Bei den Löwen mussten die Spieler auf zehn Prozent ihres Gehalts verzichten. Seither gab es kaum Siege. Kann es einen Zusammenhang geben?
Nein. Aber wenn ein Spieler die marode Situation im Verein feststellt, kann das Einfluss auf sein Verhalten haben. Bei einer gedrückten Gesamtstimmung sind positive Emotionen, die für Erfolge zwingend nötig sind, nur schwer möglich. Negativstimmung ist der Todfeind von Kreativität und Spielwitz.