TSV 1860 abstiegsgefährdet? Karsten Wettberg über Löwen-Schwächephase

Karsten Wettberg spricht im AZ-Interview über die Gründe der Schwächephase des TSV 1860 München und erklärt, wo die Mannschaft Verstärkung benötigt. "Schnelligkeit in der Spitze ist entscheidend. Das fehlt."
München - AZ-Interview mit Karsten Wettberg: Der 77-jährige Ex-Trainer führte die Löwen zwischen 1990 und 1992 von der Bayernliga in die Zweite Liga.

AZ: Herr Wettberg, die Löwen stagnieren. Die Mannschaft von Daniel Bierofka hat nur einen Sieg in den letzten neun Spielen geholt.
KARSTEN WETTBERG: Man hat zwar nicht den Kader, um ganz vorne mitzuspielen. Aber wir müssten eigentlich spielerisch stark genug sein, damit wir zumindest in Überzahl gegen zehn Mann ein Spiel gewinnen. Aber: Andere Mannschaften haben nicht den einen Spieler, von dem sie total abhängig sind – wie Sechzig mit Adriano Grimaldi.
Zuletzt hat er schließlich in vier Spielen weder einen Treffer erzielt noch ein Tor aufgelegt.
Er ist aktuell nicht in Form und nicht so spritzig, wird immer wieder von zwei Mann gedeckt. Man sieht bei ihm auch seine Sorge vor Verletzungen. Er geht nicht mehr so in die Zweikämpfe, ist einer wie Marco Reus in der Bundesliga - das sind Spieler, die von Schiedsrichtern geschützt werden müssen. Gegen Fouls, die in jedem Spiel passieren. (Lesen Sie dazu: Adriano Grimaldi schwächelt - was ist los mit dem Löwen-Torjäger?)
Woran hapert es aktuell bei Sechzig Ihrer Meinung nach weiter?
Uns fehlt Kreativität im Mittelfeld.
Einzelkritik: Neun Vierer für die Kämpfer-Löwen - Mölders enttäuscht
Müsste nicht gerade Bierofka mehr Lösungen bieten?
Wo sind denn Alternativen? Ich nehme mal Unterhaching: Der Sascha Bigalke ist ein Typ Kreativspieler, den jede Mannschaft braucht. Bigalke kann ein Spiel lesen, könnte mindestens Zweite Liga spielen. Vorne hat die SpVgg mit Stephan Hain zudem einen Stürmer, der eine Ballsicherheit hat, dass er beinahe in jeder Situation für Torgefahr sorgt.
Beide spielen für Haching. Würden Sie sie gerne in Giesing sehen?
Zweifellos. Die Hachinger haben aus wenig Geld äußerst viel gemacht. Bei Sechzig wurde die Mannschaft wiederum nicht so qualitativ verstärkt, wie es notwendig gewesen wäre, um vorne mitzuspielen.
Nehmen wir mal an, Sie hätten das Sagen. Wo würden Sie nachbessern – in der Abwehr?
Man meint immer, der Felix Weber schafft das. Einen Spielführer nimmt man nicht einfach raus, dennoch hat Bierofka reagiert. Weber hat sich gesteigert. Aber: Jan Mauersberger fehlt, weil wir mit ihm eine andere Standardstärke hätten. Man kann mit Standards Spiele entscheiden. Und: Simon Lorenz ist hochtalentiert.
In der Abwehr also nicht. Auf welchen Positionen dann?
Schnelligkeit in der Spitze ist entscheidend. Das fehlt.
Welche Stürmer wären etwas für den TSV 1860?
Welche Stürmer kämen Ihnen in den Sinn?
Florian Niederlechner (Ebersberg, heute beim SC Freiburg, d. Red.) ist mir drei Jahre lang in der Allianz Arena hinterhergerannt, ein echter Löwe. Oder Anton Fink vom KSC, der hat drei Jahre lang die Dritte Liga abgeschossen.
Um mit Spielern dieser Qualität oben angreifen zu können?
Dafür fehlen uns drei Leute. Ein Stürmer, der sicher seine zehn, 15 Tore in einer Saison erzielt. Ein Kreativer, der Erfahrung mitbringt. Bigalkes gibt es aber nicht viele. Und ein überragender Sechser, ein totaler Chef, ein Bernhard Trares in seinen besten Zeiten (lacht). Aber: Wer soll das bezahlen? (lacht nicht mehr) Das Gefährliche ist die Liga – vier Absteiger, da kann man schnell reinkommen. Normalerweise sind wir nicht dabei.
Das aktuelle Löwen-Team könnte also tatsächlich absteigen?
Es ist gefährlich, brandgefährlich! Ich glaube nicht, dass Sechzig aus dem aktuellen Kader eine Spitzenmannschaft und einen Favoriten in der Dritten Liga machen kann.
Das Duo Bierofka/Gorenzel wird viel gelobt – kann im schlechtesten Fall einen Abstieg aber nicht verhindern?
Das kann ich nicht ausschließen. Beide leisten hervorragende Arbeit, können das aber nur sicher verhindern, wenn sie mehr Freiheiten hätten. Die haben sie aber nicht. Der Trainer muss damit leben, dass Kritik bei Sechzig kommt, wenn man Spiele nicht gewinnt. Es gibt aber keinerlei Alternativen zu Bierofka. Wir sollten auch demütig daran denken, wo wir vor einem Jahr waren.
Lesen Sie hier: DFB verteidigt Löwen-Schiri als Bundesliga-Nachwuchs