Tim Rieder zu Jacobacci, Schmöller und die Krise beim TSV 1860 München: "Ein Löwe muss bis zur letzten Minute kämpfen"

München - AZ-Interview mit Tim Rieder: Der 30-jährige Defensivspieler absolvierte für den FC Augsburg in der Bundesliga fünf Partien und lief zwischen 2019 und 2020 für den TSV 1860 auf. Im Sommer 2022 ist er zu den Löwen zurückgekehrt.
AZ: Herr Rieder, hat Ihnen Ihr neuer Interimstrainer Frank Schmöller schon unter die Nase gerieben, dass er einst als HSV-Stürmer in der Bundesliga aufgelaufen ist und den DFB-Pokal gewonnen hat?
TIM RIEDER: (lacht) Noch besser: Ich hab' das schon bei der U21 gehört, dass der Trainer so etwas gerne macht, als ich nach einer Verletzung mal gegen Nördlingen ausgeholfen habe: Da meinte Schmöller über die Anstoßzeit am Abend: "Zu so einer Uhrzeit hab' ich bisher nur im Europapokal gespielt!" Er hat definitiv ein paar gute Sprüche drauf.

Frank Schmöller als Motivator: "Könnt jeden schlagen, wenn ihr an euer Maximum geht!"
Was unterscheidet Schmöller von seinem Vorgänger Maurizio Jacobacci?
Er bringt viel Spaß rein, viele Spielformen. Frank Schmöller ist ja schon lange hier im Verein und ist ein Trainer, der die Löwen versteht. Er will uns wieder Selbstvertrauen einflößen und sagt uns: "Ihr seid doch alle gute Kicker! Ihr könnt in dieser Liga jeden schlagen, wenn ihr an euer Maximum geht!"
Ihr Ex-Kollege Sascha Mölders, einst "Wampe von Giesing", hat sich kürzlich erklärt, ein Löwen-Trainer müsse mehr Emotionalität reinbringen als Jacobacci. Sehen Sie das auch so?
Unser neuer Trainer will jedem Spieler wieder klarmachen, was es heißt, für Sechzig Fußball spielen zu dürfen: dass es ein Privileg ist, das Trikot zu tragen. Er hat uns auch beschworen, zuhause im Grünwalder Stadion wieder eine Macht zu werden, auch wenn jetzt das Heimspiel gegen Essen letztes Wochenende leider ausgefallen ist. Er hat uns auch gesagt: Es muss eklig sein, gegen uns zu spielen. Und wenn du das 0:1 kriegst, wie gegen den BVB II (0:3. d. Red.), dann darfst du trotzdem niemals so auseinanderbrechen. Ein Löwe muss bis zur letzten Minute kämpfen.
Tim Rieder über die Saison des TSV 1860: "Die Spiele waren oft auf Messers Schneide"
Unter Ex-Coach Jacobacci lief nicht alles schlecht: Zwei Saisonsiege zu Saisonbeginn, viele Auftritte, in denen die Leistung zwar gestimmt hat, nicht aber die Punkteausbeute.
Das stimmt. Wir sind gegen Mannheim und Duisburg gut reingekommen. Danach haben wir oft gut gespielt, die Spiele waren oft auf Messers Schneide. Leider Gottes haben wir es nicht geschafft, sie auf unsere Seite zu ziehen. Wenn wir die Gründe dafür wüssten, hätten wir es abgestellt. Es gab viele knifflige Situationen, die uns oft die Punkte gekostet haben. Leider zählen am Ende des Tages nur die Ergebnisse. Da fragt keiner mehr, wie wir Fußball gespielt haben.
Was macht es mit einer Mannschaft, wenn mit Jacobacci und auch Finanz-Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer die Verantwortlichen der Kaderplanung vor die Tür gesetzt werden?
Es ist aus der Sicht eines Fußballprofis natürlich nie schön, wenn der Trainer gehen muss. Wenn solche Dinge passieren, heißt das auch: Du hast deinen Job als Spieler nicht richtig erledigt. Da steht jeder einzelne Spieler in der Pflicht. Der Verein hat dann kurz vor Weihnachten entschieden, wohl mit Blick auf die drei Spiele, dass es extrem wichtig ist, auf welchem Tabellenplatz wir überwintern. Da wollte der Verein nochmal einen neuen Impuls setzen. So ist es leider im Fußball. Wenn wir Ergebnisse liefern, ist die Lage auch wieder ruhiger.
Neue Position für Tim Rieder? "Stammspieler müssen sich neu beweisen"
Nun steht am Sonntag (16.30 Uhr) das Duell bei Arminia Bielefeld an. Was erwarten Sie als Routinier von der Mannschaft auf der Alm?
Ich erwarte, dass jeder Spieler alles aus sich herausholt. Wir gehen da raus und lassen unser Herz auf dem Rasen. Und zwar Spieler eins bis Spieler X, das gilt für jeden. Stammspieler müssen sich neu beweisen, Reservisten haben unter einem neuen Trainer eine neue Chance.
Und Tim Rieder spielt, wenn man im Training zuschaut, mal wieder als Innenverteidiger.
Sieht ganz danach aus, wobei sich der Trainer da ja noch anders entscheiden kann, als es in den öffentlichen Trainingseinheiten der Fall war (grinst). Ich spiele zwar lieber auf der Sechs, aber ich bin es in meiner ganzen Karriere schon gewohnt, hin und her zu wechseln. Ich freue mich jedenfalls, aufzulaufen, und ich hoffe, dass ein Ruck durch die Mannschaft geht – dann auf jeden Fall was möglich ist auf der Alm. Ich habe in meiner Laufbahn viel erlebt: von der Bundesliga mit dem FC Augsburg bis zur Insolvenz mit Türkgücü.
"Da wird es sicher noch ein paar Sprüche geben"
In einer solchen Krisensituation kann man sich auch zu viel aufladen als Spieler. Wie kriegen Sie es hin, positiv zu bleiben?
Du musst einfach positiv bleiben. Es gibt keine andere Option. Es ist schon eine Typsache, manche Menschen sehen die Dinge schnell negativ. Aber jetzt gilt für alle: Wir haben jetzt noch zwei Spiele. Wenn wir die positiv gestalten, schaut es schon viel besser aus in der Winterpause. Wir müssen uns alle gemeinsam da rausziehen.
Semi Belkahia, Chris Lannert, Marius Wörl oder Merveille Biankadi – auf welchen Ex-Löwen freuen Sie sich am meisten?
Auf Semi, wir waren sehr eng bei Sechzig und haben noch viel miteinander zu tun. Leider läuft es bei ihm derzeit nicht so gut, er war ja schon mal Stammspieler. Wir sind alle noch vernetzt und ich schaue gerne, wie die Jungs gespielt haben. Da wird es sicher noch ein paar Sprüche geben mit denen – aber auf der Alm zählen für uns nur drei Punkte.