Tanzen an der Tankstelle

JABLONEC - Der Tanz nach dem Jubel. Wie die vier Löwen-EM-Helden ihren Triumph mit der Junioren-Nationalmannschaft feierten. Die AZ war in Tschechien dabei.
An diesem Abend darf der Zauberlehrling sogar seinem Chef widersprechen. „Ich warte am Eingang auf euch. Wenn ihr geduscht habt, dann fahr’ ich euch heim nach München“, sagte 1860-Geschäftsführer Stefan Reuter in der Mixed Zone des Jablonecer Stadions im Vorbeigehen zu Timo Gebhart und klopfte dem EM-Helden ein paar Mal anerkennend auf die Schulter. Aber dem Spieler war nach Feiern zumute, nicht nach Heimfahren. „Nee, nee, heute nicht, wir kommen dann morgen“, antwortete Gebhart frech.
Genauso frech, wie er vorher gespielt hatte im Finale der U19-Europameisterschaft gegen Italien, als er beim 3:1 mit einer Traumvorlage und einem Kopfballtreffer zum Mann des Spiels avanciert war. Er hatte – unterstützt von seinen Löwen-Kollegen Lars und Sven Bender und Florian Jungwirth – das Team zum Triumph geführt.
Reuter fuhr also allein zurück nach München. Und die Euro-Löwen tanzten. Sie tanzten im Stadion, so wie Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger ein paar Wochen zuvor bei der EM in Österreich und der Schweiz das Humbatätärää. Sie tanzten und sangen im Bus auf der Fahrt von Jablonec nach Prag. Und sie tanzten sogar an einer Autobahn-Tankstelle, zwanzig Kilometer vor Prag: Während ihr Trainer Horst Hrubesch, der Europameister von 1980, erst mal verzweifelt eine Toilette suchte, sprangen die 18 EM-Helden aus dem Bus, stellten ihren silbernen Pokal auf den Boden und sprangen um ihn herum. Der Indianertanz für den ersten Titelgewinn einer DFB-Juniorenmannschaft seit 1992. „Wenn die Jungs weiter so hart an sich arbeiten, dann kann das eine große Generation werden“, adelte Matthias Sammer, der DFB-Sportdirektor, die jungen Triumphatoren. „Das war ein Titel für die Ewigkeit“, hatte Trainer Hrubesch noch im Stadion gesagt, „davon werden wir noch in 50 Jahren reden.“
Aber in dieser Nacht wurde nicht mehr viel geredet. Die Helden tanzten und tranken, die Sechzger-Spieler sangen: „So gehen Löwen, die Löwen, die gehen so.“ Und während sich der Trainer erleichterte, besorgte Gebhart an der Tankstelle zusammen mit dem Leverkusener Richard Sukuta-Pasu, der im Finale das zweite Tor geschossen hatte, Nachschub: Sie kamen mit Chips-Tüten und Bierflaschen zurück. Dann füllten sie das Bier in den Pott, tranken daraus, sangen, reichten dem mittlerweile zurückgekommenen Hrubesch den Pokal weiter und stiegen dann wieder in den Bus.
Erst nach Mitternacht erreichte der fröhliche DFB-Tross schließlich in Prag das Mannschaftshotel mit dem praktischerweise ziemlich leicht zu merkenden Namen „Praha.“ Und vom Hotel ging es gleich weiter in die Nobeldisko „Karlovy Lazne“ im Nordwesten der Stadt. Auf fünf Stockwerken kann man da ausgelassen zu den verschiedensten Musikrichtungen tanzen. Ideal also für die tanzenden DFB-Junioren? Von wegen! Denn in der Disko wurden die Helden langsam müde. Und so saßen Gebhart und die Bender-Zwillinge recht schlapp im fünften Stock des Clubs in einer Sitzecke. Nur Kapitän Florian Jungwirth hatte noch Reserven – um immer wieder Savio Nsereko, der mal zehn Jahre für 1860 gespielt hat und dann nach Italien zu Brescia wechselte, zu umarmen. Tanzen konnte da, um halb vier Uhr morgens, keiner mehr.
Reinhard Franke, fil