Stefan Schneider im AZ-Interview: "Die Stimmung in der Westkurve ist etwas Wunderbares"

Stefan Schneider war von 1993 bis März 2021 Stadionsprecher des TSV 1860.
AZ: Herr Schneider, wie Ihr Nachfolger Sebastian Schäch durch das Mikrofon des Stadionsprechers der Löwen verkündete, standen Sie am Samstag im Heimspiel des TSV 1860 gegen den FSV Zwickau in der Westkurve. Wie schreit es sich erstmals seit 29 Jahren als "Stimme der Sechzger" mitten im Fanblock?
STEFAN SCHNEIDER: Es war ein großartiges Erlebnis, weil mir die Fans einen wunderbaren Empfang bereitet haben. Ich bin mit dem Fahrrad gekommen, habe mein Radl an der Heilig-Geist-Kirche am Giesinger Berg abgestellt. Der Fußweg zum Stadion hat gedauert, denn ich musste viele, viele Selfies machen (lacht). Ich musste auch massiv anstehen, was ich vorher gar nicht kannte. Von daher hat mir selbst das Spaß gemacht, bevor ich auf meinen alten Platz in Block J durfte, dort stand ich schon vor meiner Zeit als Stadionsprecher. Ich bedanke mich auch für den schönen Empfang durch meinen Nachfolger und Freund Basti Schäch. Das war alles viel Action, aber hat auch viel Freude bereitet. Die Perspektive, diese Stimmung in der Westkurve - das ist etwas Wunderbares!
Schneider: "Löwen werden bald wieder siegen auf Giesings Höhen"
Einziger Wermutstropfen: das enttäuschende 0:2 der Mannschaft gegen den FSV Zwickau…
Natürlich, da hätten wir uns wohl alle ein anderes Ergebnis gewünscht. Und einen zweiten Wermutstropfen muss ich anmerken, der die Freude etwas getrübt hat: Ich hätt' natürlich gerne ein gescheites Bier gehabt (aktuell herrscht coronabedingt Alkoholverbot, Anm. d. Red.). Aber ich hatte einfach das Gefühl durch die Art und Weise, wie unwahrscheinlich nett die Leute zu mir waren, als hätte ich meinen Job 30 Jahre lang recht ordentlich gemacht. Von daher bin ich trotzdem mit einem guten Gefühl nach Hause gegangen - schließlich wissen wir alle ja auch: Die Löwen werden schon bald wieder siegen auf Giesings Höhen!
Nach Spielschluss gab es sogar Pfiffe, die Fankurve skandierte: "Wir wollen euch kämpfen sehen!" Sie auch?
Nein, ich nicht. Ganz ehrlich? Ich dachte mir im Vorfeld auch: Wir ham schönes Wetter, die Mannschaft hat Wut im Bauch - die Zwickauer hauen wir mit 4:0 weg! Leider kam es anders, aber ich persönlich würde nie pfeifen. Der Gesang war auch etwas ungerechtfertigt, denn die Jungs haben ja gekämpft, was getan und viel probiert. So gut, wie es bei Ihnen und gerade Sascha Mölders letzte Saison überwiegend gelaufen ist, so flau läuft es jetzt. Ein so guter Junge wie Semi Belkahia kann auch mal einen Fehler machen, und wenn du in der aktuellen Lage das 0:1 kassierst, geht das nicht spurlos an dir vorbei. Aber da kommen auch schnell wieder andere Zeiten.
Schneider: "Brauchen einen dreckigen Sieg"
Was gibt Ihnen, der die Sechzger ja durch und durch kennt, die Zuversicht auf schnelle Besserung?
Die Jungs können es ja. Sie müssen mit dieser großen Erwartungshaltung besser umgehen. Die Saison ist ja noch jung, es ist noch nicht viel passiert. Wir hatten am Samstag in der Westkurve auch Hunderte Trainer, die alles besser wissen - da wird geschimpft und philosophiert, das gehört ja zum Fußball dazu! Aber wir haben alle gesagt: Das wird schon wieder! Sechzig hat jetzt seit über 200 Tagen mal wieder ein Heimspiel verloren. Klar, Unentschieden machen auch nicht glücklich. Aber glauben Sie mir: Da geht schon noch was. Es ist wie im Leben: Du brauchst ein positives Erlebnis - und dann läuft es gleich wieder ganz anders.
Das A-Wort muss ja nicht ständig in den Köpfen schwirren, aber die Zweite Liga gehört noch nicht abgehakt?
Genau. Man verkrampft ja auch, wenn man ständig auf die Tabelle schaut. Wir brauchen einen dreckigen Sieg, am besten in Verl. Der Löwen-Fan darf die Hoffnung ohnehin nie aufgeben. Und auch nicht öfter pfeifen, so wie es die erfolgsverwöhnten Fans drüben (FC Bayern, d. Red.) machen würden. Ich kann den Löwen jedenfalls versichern: Ich komme wieder - ich werd' bald wieder "zuhause" sein!