"St. Pauli würde ich nie bestatten – lieber 1860"
München - Er ist einer der glorreichen Weltpokalsieger-Besieger des FC St. Pauli: Die Rede ist von Nico Patschinski, ehemaliger Torjäger vom Kiez-Klub. Nach seinem Karriereende als Profifußballer übt der 39-Jährige einen völlig anderen Beruf aus. Im AZ-Interview spricht er über beide Jobs und das anstehende Duell der Paulianer mit den Münchner Löwen (20.15 Uhr, Sky und im AZ-Liveticker).
Der 39-Jährige, der mittlerweile als Bestatter arbeitet, spielte unter anderem für Union Berlin, den FC St. Pauli und Eintracht Trier. Foto: ho
AZ: Herr Patschinski, Sie gelten als Legende des FC St. Pauli, im jetzigen Leben tragen Sie als Bestatter Leute zu Grabe. Wie läuft es ohne Fußball und in diesem ungewöhnlichen Beruf?
NICO PATSCHINSKI: Es läuft gut! Kann doch nicht jeder nach der Karriere noch was mit Fußball zu tun haben. Dass ich viel Kohle verzockt habe, ist ja auch kein Geheimnis. Aber ich bin nicht traurig, sondern sehr zufrieden. Ich kicke einmal pro Woche beim SC Empelde in der Kreisklasse, bekomme dafür ein Auto und kann etwas trainieren – das genügt mir. Meine Arbeit ist wie Pakete ausfahren. Nur hat es eben mit der unangenehmen Sache Tod zu tun, von der viele nix wissen wollen. Sind eben Verstorbene in den Holzkisten drin.
Man hat Sie auch schon im TV gesehen, als Sie mit Tim Wiese als Praktikant während der Fußball-EM die Italiener bestattet und so Ihren Job auf die Schippe genommen haben. Wie kam das an? Jemand der Sie hinterher lynchen wollte?
Viele haben das zuerst nicht verstanden, gepöbelt hat zum Glück keiner. Das Feedback war aber positiv. Ich fand das witzig. Wir haben ja auch keine Personen bestattet, sondern „nur“ die Italiener. Ist ja auch ein Unterschied: Im echten Job nehme ich das sehr ernst. Ein doofer Spruch wie „Das Leben geht weiter“ wäre Blödsinn. Ich versuche, auch mal Trost zu spenden – und jemandem zu sagen: Wäre es wirklich besser gewesen, wenn dein Opa den Schlaganfall überlebt hätte?
Sprechen wir über Ihren früheren Beruf: Sie sind beim unvergessenen 2:1-Sieg des FC St. Pauli gegen den FC Bayern inklusive eigenem Treffer zum Weltpokalsieger-Besieger geworden. Ihr Highlight?
Absolut. Ob bei Union Berlin, Trier, wo auch immer: Ich hatte überall eine gute Zeit. Aber am Millerntor war es sensationell. Und dieses Spiel erst! Auf das Tor und den Sieg wird man immer wieder angesprochen. Pauli ist einfach ein geiler Klub. Mit Totenkopf und Hells Bells: Der Kult wird immer bleiben.
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Heute Abend treffen die Kiez-Kicker auf die Löwen. Dürfte klar sein, wem Sie die Daumen drücken.
Da muss ich nicht lange überlegen. Ich schlafe nicht mehr in Pauli-Bettwäsche, aber Sympathie ist noch da, klar.
Welche Berührungspunkte haben Sie mit Sechzig? Wir haben mal recherchiert: Sie haben 2002 eins Ihrer acht Bundesligatore im Münchner Olympiastadion gegen Simon Jentzsch erzielt.
…und was für eins! Wenn sogar ein 2,40 Meter großer Kerl meinen Schuss nicht halten kann – Traumtor. Das waren noch Zeiten, die zwei Traditionsklubs in der 1. Liga, Sechzig mit Icke Häßler. Da waren wir richtig gut. Dumm nur, dass Martin Max eingewechselt wurde, drei Buden geschossen hat und wir 4:2 verloren haben. Ich wäre kurz danach fast mal bei den Löwen gelandet.
Erzählen Sie mal.
Unter Werner Lorant und später Peter Pacult gab es mal lose Anfragen, aber irgendwie kam das bei mir damals nicht so richtig an. Vielleicht, weil ich sportliche meist Negativerlebnisse mit denen verbinde. Daher kann ich die Löwen echt nicht leiden.
Wie verfolgen Sie 1860 heute? Der Verein hat für nächstes Jahr ambitionierte Aufstiegspläne.
Wenn sie es schaffen, wirklich mal Ruhe, nur ein bisschen Ruhe zu haben, warum nicht? Sportlich ist großes Potenzial da, zugegeben. Dazu eine große Fanbasis, eine gute Vergangenheit. Spricht doch alles für 1860.
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Was spricht heute Abend für Sechzig?
Die sind relativ stabil, der Michi Liendl gefällt mir ganz gut, wie er von hinten das Spiel aufzieht. Ich sag’s mal mit dem alten Spruch: Wer das erste Tor macht, gewinnt. Wenn das die Münchner sind, wird es sehr eklig für Pauli – dann haben sie Druck auf dem Kessel.
Nicht, dass Sie am Saisonende noch tätig werden müssen.
Die würde ich nie bestatten. Keine Chance. Lieber Sechzig. Das ist bei Pauli fast schon wie beim HSV: Kaum verlierst du ein paar Spiele, gibt‘s riesengroße Dramatik. Meine Devise: immer locker bleiben. Sie haben ja erst fünf Spiele durch. Ne, die steigen nicht ab. Da werde ich nicht ausrücken müssen.