Sportpsychologin Frauke Wilhelm über Krise beim TSV 1860: "Eine Mannschaft mit Interimstrainer ist ein Problem"
München - Krisenstimmung an der Grünwalder Straße 114. Nur ein magerer Sieg aus fünf Spielen im Jahr 2023, der Rauswurf von Löwendompteur Michael Köllner und den Aufstieg unter Interimstrainer und Sportchef Günther Gorenzel wohl endgültig verspielt. Nun bekommt der TSV 1860 auch noch Absagen von Trainerkandidaten am Fließband.
Sportpsychologin Wilhelm: "Unklarheit beschäftigt die Spieler"
Aber worauf kommt es für die Löwen in dieser schweren Zeit an? Die AZ hat darüber mit Sportpsychologin und Programmleiterin der Fortbildung "Sportpsychologische Kompetenzen für Trainer und Manager" am Internationalen Fußball Institut, Frauke Wilhelm, gesprochen.

Die ehemalige Sportpsychologin des FC St. Pauli und Hannover 96 rät dem TSV 1860, möglichst schnell einen neuen Cheftrainer zu präsentieren, um zurück in die Erfolgsspur zu finden. "Eine Mannschaft mit Interimscoach ist natürlich immer ein Problem", so Wilhelm. Als Grund dafür nennt die 50-Jährige das Fehlen einer klaren Führung.
"Die Spieler wissen nicht, wie lange der Trainer noch bei ihnen bleibt. Soll heißen: Wie ernst müssen wir den eigentlich nehmen?" Damit entsteht innerhalb des Teams gleichzeitig eine gewisse Unsicherheit, wie sich die Lage in den nächsten Monaten entwickelt. "Wer wird Stammspieler, wer könnte aus dem Kader fallen? Alles völlig unklar. Und natürlich beschäftigt das die Spieler", erklärt Wilhelm.
"Neuer-Trainer-Effekt" entfällt beim TSV 1860
Auch der sogenannte "Neue-Trainer-Effekt" entfällt laut der Sportpsychologin bei Interimscoach Gorenzel. "Bei einem neuen Trainer passiert es dann ja meistens, dass sich alle Spieler erst einmal von ihrer allerbesten Seite zeigen. Jetzt haben sie einen Interimstrainer, der ihnen sowieso nicht neu ist, weil er ja Sportdirektor ist", so Wilhelm.
Zusätzlich könnten die vielen auslaufenden Verträge bei den Münchnern für Unsicherheit innerhalb des Teams sorgen. Als Grund dafür nennt die Programm-Managerin des Internationalen Fußball Instituts einen fehlenden Ansprechpartner: "Sie haben im Moment keinen Trainer, der ihnen sagen kann, ob er auf sie bauen möchte und sie haben keinen Sportdirektor, auf den sie bauen können, weil der in einer Doppelfunktion unterwegs ist."
Dadurch ergibt sich für einige Löwen-Spieler zunehmend eine schwierige Situation, da sie sich zwangsläufig damit beschäftigen müssen, wie es im Sommer für sie weitergeht.
TSV 1860 braucht "viel Führung und Kommunikation"
Was kann Günther Gorenzel also in seiner verbleibenden Zeit als Interimstrainer machen, um die Mannschaft zu Siegen zu führen? Auch darauf hat Wilhelm eine Antwort: "Eine Mannschaft, die in einer Krise ist, braucht viel Führung und Kommunikation. Das heißt, sie braucht klare Regeln und Linien, an denen sie sich orientieren kann."
Dafür sollte der Österreicher den Löwen-Kickern eine klare Spielphilosophie präsentieren und möglichst alle Missverständnisse beseitigen. "Er sollte auch in seinen Ansprachen nicht darauf rumreiten, was im Moment nicht funktioniert, sondern sich auf die Stärken der Mannschaft besinnen", so die 50-Jährige.
Schafft Gorenzel das, könnte er am Sonntag gegen den SC Verl (Sonntag, 13.00 Uhr, live bei Magenta Sport und im AZ-Liveticker) endlich seinen ersten und wohl auch letzten Dreier als Interimstrainer des TSV 1860 einfahren. Denn spätestens nach der Partie soll bei den Giesingern ein neuer Cheftrainer auf der Bank sitzen. Der Favorit darauf ist aktuell Achim Beierlorzer.