Schneider: "1860 ist mein Jungbrunnen"

AZ: Herr Schneider, die AZ-Leser haben Sie in einem schwierigen Jahr für den TSV 1860 zu Münchens Sportpersönlichkeit 2011 gewählt. Sie haben es geschafft, die Löwen vor der Insolvenz zu bewahren. Zwar sind Sie durch den Anteilsverkauf an den Investor nicht mehr Herr im eigenen Haus, gelten vielen aber dennoch als der stärkste Klubpräsident seit Karl-Heinz Wildmoser.
DIETER SCHNEIDER: Ein starker Präsident? Da sage ich: Ja! Ein starker Präsident hält durch, er behält seine Linie bei - und er wird nicht zum Despoten. Ich kämpfe natürlich für die Eigenständigkeit des TSV 1860, aber ich sehe es auch als meine Verantwortung, dass alle unterschiedlichen Fangruppierungen meine Arbeit respektieren können - sonst wäre ich ja auch nicht gewählt worden.
Aber gewählt wurden Sie auch, weil Sie vielen Fans Halt geben. Wenn Sie im Amt bestätigt werden, dann gewiss auch, weil Sie Investor Hasan Ismaik und dessen Statthalter Hamada Iraki gegenüber Stärke zeigen.
Ich sehe Stärken woanders.
Darin, sich nicht um jeden Preis durchsetzen zu wollen?
Stärke bedeutet auch zu erkennen, wann man von Prämissen abrücken muss, ohne die vielen Gruppierungen bei den Fans zu verraten.
Ihre Fannähe ist ja allseits bekannt…
Tatsächlich fahre ich viel raus zu den Fanclubs - und am Anfang hatte ich häufig einen Kloß im Hals. Da fahren sie ins tiefste Allgäu und dort wird man mit einem bayerischen Defiliermarsch aus einem Ghettoblaster empfangen. Woanders wird man runter geführt in eine alte, seit 30 Jahren nicht mehr genutzte Kegelbahn, wo der Fanklub quasi einen 1860-Altar, einen Tempel, eine Kultstätte mit alten Fotos, Pokalen und ähnlichen Dingen gebaut hat. Diese Leute sind mit dem Herzen dabei, für sie ist 1860 ein Lebensgefühl, da ist eine uneingeschränkte Liebe zum Verein. Das muss man sich immer vor Augen halten, wenn man im Glaskasten in der Grünwalder Straße sitzt und sich gegenseitig beharkt. Wir wissen gar nicht, wie sehr die Lebensqualität dieser Menschen vom Verein abhängt.
Sie sind der erste 1860-Chef seit Wildmoser, der eine solche Verehrung durch die Fans erfährt. Wildmoser allerdings hatte auch sehr viele Gegner, Sie haben fast ausschließlich positives Echo.
Ich habe dies zweimal erlebt: einmal, als ich nicht ganz gesund war, beim anderen Mal, als berichtet wurde, dass ich - egal, ob nun richtig oder falsch - mit Rücktrittsgedanken spiele.
Richtig oder falsch?
Das lassen wir jetzt mal dahingestellt, aber da haben mir viele, die eigentlich nicht auf meiner Linie sind, E-Mails und SMS geschickt und mich gebeten, nicht zurückzutreten. Das war für mich eine Bestätigung: Die lieben mich nicht heiß und innig, aber die respektieren mich.
War das für Sie wichtig, um doch weiter zu machen?
Ich darf doch nicht etwas anfangen, an dem so viele Leute mit ihren Emotionen hängen, und dann aufhören, bloß weil ich gerade keine Perspektive sehe. Nur weil es mir persönlich schlecht geht, schmeiß' ich den Krempel hin? Das haben die Fans in der Vergangenheit schon zu oft erlebt.
Dennoch waren Sie gesundheitlich angeschlagen. Gab es in Ihrem direkten Umfeld niemand, der gesagt hat: "Dieter, warum tust du dir das eigentlich an?"
Die kennen mich!
Ihre Frau?
Ja, meine Frau hat mir am meisten Sorgen gemacht. Nicht, weil Sie mir ständig in den Ohren gelegen hätte, sondern weil sie während meiner Krankheit richtig Angst um mich gehabt hat. Viele erleben mich so, dass ich fit bin, aber ich habe Baustellen in meinem Körper. Meine Frau erlebt dann, was ich zu Hause in der Kürze der Zeit tun muss, um wieder so fit zu werden.
Klingt, als wäre Ihnen am Ende 1860 wichtiger als Ihre eigene Gesundheit.
(zögert lange) Das würde mir keiner abnehmen, wenn ich das wahrheitsgemäß beantworte. Jeder lebt ja gerne. Ich weiß selbst nicht, woran es liegt, ob es Dummheit ist oder was auch immer. Eines kann ich mit Sicherheit sagen: um Statusdenken oder Selbstdarstellung geht's mir nicht. Aber ich liebe es, bei den Fans zu sein. 1860 ist für mich ein Jungbrunnen, da bin ich daheim.
Ist es Ihnen manchmal zu viel des Schulterklopfens?
Doch, es belastet, es hat sogar Zeiten gegeben, da hat das unglaublich belastet. Ein Beispiel: Mein erster Fanklub, den ich besucht habe, war Aitrang im Allgäu. Dort ist ein Mann zu mir gekommen, der Fischer Wolfgang, er ist Mitte 70, und wollte sich bei mir bedanken. Aber ich habe ihm geantwortet: "Sagen Sie nichts zu mir, sagen Sie's bitte erst, wenn wir's geschafft haben." Dann war ich ein Jahr später, an diesem berühmten Septemberwochenende, als ich am Montag ins Krankenhaus musste, wieder im Allgäu. Ich traf den Mann wieder. Er hatte Tränen in den Augen, nein, die Tränen liefen ihm nur so herunter, als er zu mir sagte: "Erinnerst du dich noch? Damals, als ich dir danken wollte? Jetzt haben wir's geschafft, jetzt sag' ich Dankeschön!" Wenn man so etwas erlebt, dann kann man nicht aufhören (weint selbst fast).
Sind dies jene Begegnungen, die Ihnen die nötige Kraft fürs schwere Amt geben?
Ja, einfach ja. Aber ich bin kein Heiliger, ich bin auch ein sehr nüchterner Kaufmann. Ich habe mir alles selbst erarbeitet und kann auch die Gedanken des Investors nachvollziehen. Wir brauchen sportliches Geschick und die Kombination aus beidem - dem kaufmännischen Denken und der Identifikation der Fans.
Am Ende geht es aber um einen Fußballverein, um sportlichen Erfolg, Perspektiven.
Es ist so, dass in den nächsten ein, zwei Spielzeiten der Aufstieg klappen muss.
Und wann sind Sie persönlich angekommen, wann haben Sie Ihre Ziele erreicht?
Wenn wir es geschafft haben, in der Bundesliga das Pendel zu sein: in der Mitte - mit Ausschlag nach oben. Und dann sehen wir irgendwann da oben was: die Europa League vielleicht. Wirtschaftlich müssen wir zudem gefestigt sein. Und was mir enorm wichtig ist: Es muss wieder - wie früher - richtig cool sein, ein Löwe zu sein.