Scheichlied, Attacken und Anschuldigungen: Mitgliederversammlung zeigt Zerrissenheit des TSV 1860

DIe Mitgliederversammlung des TSV 1860 wird zum Sinnbild eines zerrissenen Vereins. Das Präsidium um Robert Reisinger ist obenauf, der Wahlkampf von Hasan Ismaik und "BündnisZukunft1860" schlägt fehl.
von  Ruben Stark, Matthias Eicher
Die 1860-Mitgliederversammlung im Zenith in Freimann hätte bereits um Punkt 10 Uhr beginnen sollen, doch der Andrang sorgt für Verspätung. Hasan Ismaik erscheint um 10.37 Uhr, winkt der wartenden Menge und betritt dann die Halle.
Die 1860-Mitgliederversammlung im Zenith in Freimann hätte bereits um Punkt 10 Uhr beginnen sollen, doch der Andrang sorgt für Verspätung. Hasan Ismaik erscheint um 10.37 Uhr, winkt der wartenden Menge und betritt dann die Halle. © sampics

München - Sch*** auf den Scheich, sch*** auf sein Geld, egal, was er sagt, egal, was er denkt..."

Trotz der Bitten von Vereinspräsident Robert Reisinger und Veranstaltungsleiter Daniel Bauer, auf Diffamierungen und und das sogenannte "Scheichlied" zu verzichten, geleitete Hasan Ismaik diese Melodie um 10.37 Uhr hinein ins Zenith, wo er seine erste Mitgliederversammlung besuchte. Es sollte eine historische werden - und vielleicht auch seine erste und letzte.

Lange Schlangen an Mitgliedern der Löwen, die bis 12 Uhr Mittag noch nicht in der Kulturhalle im Münchner Norden Einlass fanden, sorgten sogar für die berechtigte Sorge, das höchste Vereinsorgan müsse abgebrochen werden: Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren waren die 2500 Stühle allesamt besetzt.

TSV 1860: Immenser Andrang sorgt für Rekordbeteiligung der Mitglieder

Präsident Reisinger eröffnete die Versammlung dennoch bereits um 10.07 Uhr, um nicht für weitere Verzögerungen des mit acht Stunden Dauer angesetzten Marathons zu sorgen. Seine spätere, wortgewaltige Rede unter TOP 8 hatte es in sich: Der umstrittene Oberlöwe griff Ismaik, der zu diesem Zeitpunkt nur wenige Meter entfernt nebst Personenschutz und Übersetzer in den Massen saß, mit scharfen Worten an: "Dass Hasan Ismaik nicht offiziell mit Vereinsvertretern sprechen möchte, aber sich zuletzt nahbar und geradezu leutselig gibt, ist dem Wahlkampf geschuldet und soll den Verein in der Öffentlichkeit delegitimieren." Dabei seien Reisinger und Co. gesprächsbereit.

Zu einer Wortmeldung Ismaiks oder gar einer Aussprache kam es auch im Zenith nicht: Vielmehr zog sich Ismaik zwischendurch in einen Aufenthaltsraum in den ersten Stock zurück, um per Video zu verkünden, dass er jedes Ergebnis akzeptiere - aber nochmal trommelte, um kurzentschlossene Sechzger in die Halle zu bewegen. Der Jordanier hatte schon im Vorfeld registriert, dass seine Einschätzung im AZ-Interview ("Wir werden die Wahl gewinnen") wohl doch eher einer kleinen Sensation gleich käme.

Präsident Reisinger ruft immer wieder: "Wir sind der Verein - der Verein hat geliefert!"

Doch zurück zu Reisingers Worte, die unten durchs Zenith hallten: Ismaiks Gebaren, begleitet vom Wahlkampf des "BündnisZukunft1860", sei "klubpolitisch verantwortungslos und menschlich skrupellos!" Nicht nur mit Blick auf das Mitglieder-Rekordhoch von 27.000 Löwen rief er immer wieder ins Mikrofon: "Wir sind der Verein - der Verein hat geliefert!" Reisingers Rede wurde teils mit Szenenapplaus und Sprechchören der Ultras ("Wir-sind-der-Verein - ohne Hasan!"), aber auch mit Buhrufen und Pfiffen quittiert.

Verwaltungsrats-Boss Sascha Königsberg erntete für seine minutenlange Erklärung, wie es zum fragwürdigen Misstrauensvotum gegen Ex-Vize Hans Sitzberger gekommen war, ebenfalls beides: Applaus und Ärger, dazu gesellten sich "Sitzberger"-Sprechchöre. Man ahnte es schon, dass die Ultras und das e.V.-nahe Fanlager zwar deutlich in der Überzahl waren, aber auch zahlreiche Unterstützer eines Investitionskurses den Weg nach Freimann gefunden hatten.

"Wenn ein Clown in einen Palast einzieht, wird er nicht zum König - der Palast wird zum Zirkus!"

Einen denkwürdigen Auftritt legte Finanz-Geschäftsführer Oliver Mueller hin: Der neue KGaA-Boss fiel, wohl ganz im Sinne seines Präsidenten, durch ein vehementes Verteidigungsplädoyer von Sechzigs Profifußballern auf. Nebst einem populistischen Spruch, dass der Bierpreis im Grünwalder Stadion in der kommenden Saison sinken solle, kritisierte das Bündnis scharf: "Wenn ein Clown in einen Palast einzieht, wird er nicht zum König - der Palast wird zum Zirkus!"

Mueller, der eine neue Löwen-App und Fortschritte bei der Stadionfrage mit der Stadtverwaltung ankündigte, könnte auch Ismaik gemeint haben, der am Freitag zu einer Sprechstunde in der Geschäftsstelle geladen hatte, die Sechzigs Geschäftsführung aber prompt wieder abblies. . .

1860-Fans bieten Kondome mit Anti-Ismaik-Bild an

Kurios: Die Ultras bauten noch in der Halle auf Bierbänken einen Fanartikel-Verkaufsstand auf und offerierten den Löwen-Mitgliedern Fanutensilien mit der Aufschrift "Freiheit für Sechzig" - dazu sogar Kondome mit dem durchgestrichenen Konterfei von Ismaik. Keine Liebe zwischen Sechzig und Ismaik, noch nicht einmal eine leidenschaftliche Affäre, eher ein inzwischen 13 Jahre fortwährendes Missverständnis: Auch diese Versammlung hätte deutlicher kaum aufzeigen können, wie zerrissen dieser Verein ist - und auch fortan bleiben wird.

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