Protestmarsch – und eine Präsidenten-Posse

München - Samstag, 13. Juni. Grünwalder Straße. Trainingsgelände des TSV 1860. Wütende „Poschner-raus“-Rufe. Schilder, auf denen geschrieben steht: „Rote Karte für Poschner“, „Poschner Go Home“. Überall verärgerte Löwen-Fans, die gegen Sportchef Gerhard Poschner poltern. Und dann der Rücktritt von Präsident Gerhard Mayrhofer. Von seinem Rücktritt. Was für ein denkwürdiger Tag für Sechzig, einmal mehr ein chaotischer. Aber der Reihe nach.
Die beiden langjährigen Löwen-Fans Franz Hell und Roman Wöll hatten gemeinsam mit den Fanklubs „Blue Unit“ und „Blue Patriots“ zu einem Protestmarsch gegen Poschner aufgerufen. Ihr erklärtes Ziel: Die Entlassung des Sportchefs, dem in ihren Augen Hauptverantwortlichen für die Katastrophen-Saison der Löwen, als erst in letzter Minute der Relegation gegen Holstein Kiel der Super-GAU verhindert werden konnte. Als sich Poschner an dem Mittwoch zuvor den Anhängern gestellt, und sich für seine Fehler entschuldigt hatte, hatten manche ein Einsehen: Im Internet tauchte eine E-Mail mit der Nachricht auf, die Demo würde abgesagt. Nicht so für Hell und Wöll: Um 12.30 Uhr traf man sich, um 13 Uhr sollte der Protest beginnen.
Bevor der Aufmarsch allerdings ins Rollen kam, bahnte sich ein weiteres, größeres Löwen-Beben an: Der Rücktritt des Präsidenten! Gerhard Mayrhofer habe am Vormittag mit Hell telefoniert und sich zu diesem Schritt entschlossen, bestätigte Hell der AZ. Während sich widersprüchliche Aussagen überschlugen, ob der Rücktritt das gesamte Gremium oder nur den Präsidenten alleine beträfe, folgte das Dementi: „Die Meldung gibt es nicht mehr“, simste Mayrhofer der „Bild“. Der Grund: Investor Hasan Ismaik, habe sich eingeschaltet. Und damit wohl für Mayrhofers Rücktritt vom Rücktritt gesorgt – und so aus einem Löwen-Beben ein Fast-Beben gemacht.
Ein Gesprächsthema mehr an der Grünwalder Straße, wo sich gegen 13 Uhr rund 400 Löwen-Fans einfanden und zwei Stunden lang in und vor dem Löwen-Stüberl lebhaft über Poschner, Mayrhofer und Ismaik diskutierten. Auch mit dabei: die Meisterlöwen Peter Grosser, Hansi Rebele, Hans Reich, Wilfried Kohlars, Ex-Präsident Karl Auer, Kult-Verteidiger Thomas Miller und Karsten Wettberg, König von Giesing. Und der Kult-Trainer polterte majestätisch drauflos. „1860 muss ein Original sein. Aber 1860 ist eine Lachnummer. Nicht nur Poschner, auch Noor Basha muss weg. Ich habe nichts gegen Basha, aber ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so wenig Ahnung von Fußball hat“, sagte Wettberg über den Statthalter des Investors, der seine schützende Hand über Poschner hält. Wettberg erhielt dafür Applaus von allen Seiten.
Auch die Meinung von Initiator Hell war gefragt. Er dankte allen Beteiligten für ihr Erscheinen, fügte an: „Wir haben diesen Marsch organisiert, weil wir glauben: So kann es nicht mehr weitergehen. Ich möchte wieder mit Freude zu den Spielen meiner Löwen gehen, so schlimm war es in den letzten 52 Jahren nie. Der Verein ist für mich mehr als ein Manager, Sponsorenvertreter oder auch ein Spieler. Hier haben schon viele gedacht, sie seien unverzichtbar. Und danach ging es immer weiter.“
Doch wie soll es jetzt weitergehen? Die Löwen veröffentlichten am Sonntag per Pressemitteilung: „Präsidium und Vereinsvertreter im Beirat des TSV 1860 München bestätigen, dass sie sich in sehr ernsthaften und produktiven Gesprächen mit Gesellschafter Hasan Ismaik und seinen Rechtsberatern befinden, um für die Zukunft des Vereins zeitnah eine langfristig tragfähige Lösung zu finden.“ Heißt: Die Funkstille ist aufgehoben. Wäre das Präsidium tatsächlich zurückgetreten, hätte ein einberufener Notvorstand Poschner an Ismaik vorbei entlassen können. War es am Ende gar ein taktisches Manöver von Mayrhofer, um eine Reaktion Ismaiks zu erzwingen? Womöglich steht nach dem Einlenken des Jordaniers einer große Lösung mit dem zuletzt gehandelten, aber bisher vom Gesellschafter abgelehnten Felix Magath nichts mehr im Wege. Nicht einmal eine Aussöhnung aller Beteiligten, inklusive Poschner, scheint ausgeschlossen.
Der Verwaltungsbeirat werde kurzfristig zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen und sich mit der aktuellen Situation beschäftigen. Aufsichtsrats- und Beiratsmitglied Karl-Christian Bay bittet alle, „denen der Erfolg von 1860 am Herzen liegt“, um „Vertrauen“, dass die Löwen „eine belastbare und zukunftsfähige Lösung“ finden werden. Gemeinsam mit Ismaik.
Ob die Lösung auf dem Sportchef-Posten Poschner heißt, darf zumindest angezweifelt werden. Auch die Trainerfrage (Darf Fröhling bleiben? Kommt doch Felix Magath als starker Mann?) und die Zusammensetzung des Löwen-Kaders (Verstärkungen? Investiert Ismaik?) bewerben sich um schnelle Antworten. Denn geklärt ist bisher noch nichts – von Schulterschluss aller Beteiligten bis zum Löwen-Beben scheint jetzt alles möglich.