„Mein Vater ist ein Arbeitsviech“

Am Montag wird Dieter Schneider zum neuen 1860-Präsidenten gewählt. Die AZ besucht seine Firmen und spricht mit der Tochter.
MARKT INDERSDORF Das Büro liegt versteckt im hintersten Eck des Gebäudes, die Einrichtung ist bescheiden. An der Wand hängen ein signiertes Porträt von Franz-Josef Strauß, ein paar Familienbilder, Urkunden. Das Fenster ist gekippt, dennoch riecht man den Zigarettenrauch. „Er war also heute Morgen da", sagt Wolf-Dieter Mose. Oft bekommen er und seine Kollegen beim Kunststoffhersteller Liedtke in Markt Indersdorf ihren Vorgesetzten nicht zu sehen, denn Dieter Schneider hat ja kaum noch Zeit.
Schneider, der 63 Jahre alte Self-made-Millionär aus Dachau, wird am Montag schließlich zum 32. Präsidenten des TSV 1860 gewählt. Und weil er schon in den letzten Wochen immer weniger Zeit fand, sich um seine Firmen zu kümmern, „werden wir uns daran gewöhnen müssen, ihn noch öfter am Telefon zu hören. Aber wenn er 1860 retten muss, muss er das tun. Und wenn er sich etwas in den Kopf setzt, macht er es auch“, betont Mose, der Technische Leiter bei Liedtke. Außerdem: „Ein bisschen", erklärt Djurdjica Jovanovic, die in der angegliederten Fabrik steht, einen Blaumann und Schutzhandschuhe anhat und wegen des Lärms mit lauter Stimme spricht, „ist das ja auch ein Erfolg für unsere Firma, wenn der Herr Schneider wieder was erreicht hat. Alle hier Freude sich für ihn. Alle stehen hinter ihm“. Die Kroatin leitet bei Liedtke die Endmontage, sie arbeitet seit 35 Jahren und nun schon in der dritten Firma unter Schneider, und doch sagt sie: „Wie er das immer alles schafft, ist mir ein Rätsel. Aber ich kenne niemanden, der so sehr aufgestiegen ist wie er."
Vor 20 Jahren hatte Schneider das Unternehmen in Markt Indersdorf aufgekauft. Mitte der Neunziger stand Liedtke dann vor dem Aus, die Mitarbeiter warteten wochenlang auf ihre Gehälter, es wurden Leute entlassen. „Seit 1996 haben wir aber nie mehr rote Zahlen geschrieben. Schneider hat den Leuten beigebracht, wie man zum Wohle des Ganzen auch mal verzichtet und dass es einem selbst besser geht, wenn es der Firma besser geht. Die Firma ist der Star, einzelne Personen dürfen sich nicht zu wichtig nehmen, die Bescheidenheit lebt er vor", sagt Mose.
Worte, die auch für Schneiders Sanierungskonzept der Löwen zu gelten scheinen.
„Vertrauen ist alles. Schneider hat hier ein Team um sich herum aufgebaut, das mit Disziplin und Willen jede schwierige Phase überstehen kann. Die meisten würden für ihn durchs Feuer gehen. Wenn er das bei 1860 auch schafft, kann ich dem Verein nur beglückwünschen zu seinem neuen Präsidenten", so Mose.
Doch sie machen sich auch Sorgen um ihren Chef. Wegen dessen Arbeitspensums, wegen des vielen Kaffees und der Zigaretten. Ihr Vater sei ein Arbeitsviech, sagt auch Joana Schneider. Die 21-jährige ist Schneiders jüngste von drei Töchtern und arbeitet seit einem halben Jahr bei Liedtke als Bürokauffrau. „Er ist täglich sehr, sehr eingespannt. Manchmal ist das alles ein bisschen zu viel, und Wochenenden gibt es eigentlich nicht. Aber er beschwert sich nie. Er weiß schon, was er tut."
Und wenn der 63-Jährige dann doch mal abschalten muss, macht er das am späten Abend, wenn er mit den Hunden um den Block läuft. „Das macht er jeden Tag. Manchmal wird's so spät, dass alle anderen schon im Bett sind. Mein Vater war aber schon immer ein Nachtschwärmer.“
Rund 20 Kilometer südlich von Markt Indersdorf, im Dachauer Industriegebiet, sitzt Kai-Uwe Brünn an seinem Schreibtisch. Das Renault- und Dacia-Autohaus gehörte ihm früher selbst. Irgendwann aber stand er kurz vor der Insolvenz. Letzten Sommer übernahm Schneider den Laden und begann mit dem, was er am besten kann: Sanieren. „Es war nicht leicht, das Geschäft abzugeben, aber Schneider war ein Glücksfall. Ihm ging es hier nicht ums Geld, er sah eher einen sportlichen Anreiz, einem Laden auf die Beine zu helfen“, sagt Brünn, den Schneider als Werkstattleiter übernommen hat. „Er will alles wissen. Auch wenn es nur um Kleinigkeiten geht. Schneider ist extrem genau, extrem präzise. Ihm entgeht nichts", sagt Brünn weiter. Und deswegen sagt der Löwen-Fan über seinen neuen Boss auch: „Man kann sich immer auf ihn verlassen. Für 1860 gibt mir das ein gutes Gefühl. Ein Handschlag zählt bei ihm. Er ist konservativ, ich mag ihn.“
Manchmal aber geht auch ihm Schneiders Elan etwas zu weit. Neulich hatte der in einem Prospekt einen Renault Koleos, eine Art SUV, entdeckt und beschlossen, einen für den Laden zu bestellen. „Ich hatte ihn gewarnt“, erzählt Brünn, „für das Modell würde sich niemand interessieren." Den Wagen wollte dann tatsächlich niemand, bis ihn Schneider an einen Liedtke-Kollegen vergünstigt abgab. „Es gibt aber Bereiche, von denen er seine Finger lässt. Zum Beispiel die Werkstatt. Zumindest noch.“
Marco Plein