Löwen-Dämmerung: "Eine Katastrophe"
München - Das 0:3-Debakel gegen Union Berlin war erst Stunden vorbei, die Löwen – vollmundig als selbsternannter Titelkandidat in die Saison gestartet – waren dadurch auf den 17. Platz, einen Abstiegsrang, zurückgefallen. Der traurige, der erschütternde, der furchteinflößende Fakt nach diesem 31. Spieltag: 1860 kann aus eigener Kraft den Abstieg in die Drittklassigkeit nicht mehr verhindern. Torsten Fröhling, der Löwen-Trainer, stand am Flughafen. Der Koffer in der Hand. Ein wichtiger Termin mit der Familie, alles war arrangiert, Co-Trainer Collin Benjamin sollte das Auslaufen der Löwen-Versager leiten. Doch noch vor dem Check-in drehte Fröhling um. Zu prekär die Situation der Sechziger, zu sehr brodelte es in ihm nach der Nichtleistung daheim gegen Union, die in der ersten Hälfte schon fast an Arbeitsverweigerung grenzte.
Also fuhr Fröhling zurück. Der Ausbruch des brodelnden Vulkans Fröhling erfolgte am nächsten Morgen. Um 10 Uhr sollte die Mannschaft des TSV 1860 antreten. Um 10.44 Uhr kamen die Spieler aus der Kabine. Nach einer langen Ansprache des Trainers. Nach deutlichen Worten. Und nach der Ankündigung, dass heute kein lockeres Auslaufen angesagt sei. Im Gegenteil: Straftraining. Am Samstag hatte es noch eine Klatschparade für die Spieler von über 200 Fans an der Grünwalder Straße gegeben. Am Sonntag dann die Klatsche gegen Berlin. Noch drei Spiele Zeit, um der Drittliga-Hölle zu entkommen. Doch die Fans, sie glauben offenbar selbst kaum mehr an die Rettung. Die Stimmung in der Allianz Arena nach Schlusspfiff – gespenstisch. Kaum Pfiffe, kaum Emotion. Unglaube. Ohnmacht. Nur auf der Ehrentribüne kam es nach AZ-Informationen zu einem Vorfall. Fans beschimpften Präsident Gerhard Mayrhofer und bedrängten ihn derart, dass sie aus dem Bereich entfernt werden mussten.
Bei 1860 herrscht mehr Fassungslosigkeit als Wut. Nach außen versucht man ruhig zu bleiben, wissend, dass alle Aussagen wie hohle Durchhalteparolen klingen. Doch längst haben sie erkannt, in welcher ausweglosen Situation sie stecken. Auf der Trainerposition war Fröhling das letzte Ass im Ärmel. Da der Coach mit seiner kernigen Art gut bei den Spielern ankommt, steht er nicht zur Disposition. Der Kader kann nicht mehr verändert werden. Selbst, wenn das Präsidium sich jetzt gegen den schwer in der Kritik stehenden Gerhard Poschner aussprechen würde – an der Misere würde eine Demission des Sportchefs nichts ändern.
Die Löwen sind gefangen in der bitteren Realität, vielleicht nicht gut genug für Liga zwei zu sein. Es geht nur noch ums nackte Überleben. Also gab Fröhling am Montag den Schleifer. Abgeschottet auf den hinteren Plätzen. „Wir wollten einfach mal unter uns sein“, erklärte der 48-Jährige. Anders ausgedrückt: Nicht alles, was Fröhling seinen Spielern zurief, war für fremde Ohren bestimmt. Schließlich war das kein normales Training. „Nein, Straftraining gibt’s bei mir nicht“, erklärte er. „Die wollten das so.“ Was aber auch nichts anderes hieß, als dass die Spieler am Sonntag durch ihre Nicht-Leistung zum Ausdruck gebracht hatten, am Montag etwas härter trainieren zu wollen.
Konnten sie haben. „Man kann verlieren. Aber man muss wenigstens erhobenen Hauptes vom Platz gehen und sagen können, dass man kaum mehr laufen kann. Das habe ich vermisst.“ Wenn die Spieler also schon gegen Union nicht gelaufen waren, ließ Fröhling sie das nachholen. Den Trainer ärgerte nicht nur der leblose Auftritt an sich, sondern das „Wie“ im Vergleich zum engagierten Auftritt eine Woche zuvor in Düsseldorf. „Wie kann man innerhalb von sieben Tagen so eine Darbietung abliefern?“, fragte Fröhling.
Langsam scheint es auch ihm zu dämmern, welches Erbe er im Februar angetreten hat. „Ich bleibe dabei, dass die Mannschaft zusammenhält“, sagte der Trainer. Die Realität sieht aber anders vollkommen aus. Die Grüppchenbildung ist nicht zu übersehen. Die erste, eine Verbindung aus ehemaligen U21-Spielern wie Weigl, Eicher und Vollmann sowie gestandenen Kickern wie Adlung. Die zweite, der unter anderem Kapitän Schindler, Ortega sowie die Kumpel Wittek und Bandowski angehören. Die dritte, die sich wenig überraschend um die spanisch sprechenden Spieler wie Sanchez, Bedia und Rodri gebildet hat.
Einer für alle, alle für einen – von dieser Wunschvorstellung sind die Löwen weiter entfernt denn je. Die Pleite gegen Union war ein charakterlicher Offenbarungseid. „Das war eine Katastrophe“, stellte Fröhling klar, der sich seinen Zweckoptimismus aber naturgemäß nicht nehmen lassen wollte. „Warum soll uns das das Genick brechen? Die Woche ist zum Glück kurz und wir können es am Freitag in Frankfurt besser machen.“