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Löwen-Boxer in letzter Minute zu Olympia – 1860-Präsident Reisinger: "Eine fantastische Sache"

Magomed Schachidov gilt als Bayerns bester Boxer. Sein Weg nach Frankreich ist gepflastert von harten Entscheidungen. Nun strebt der Athlet des TSV 1860 bei den Olympischen Spielen in Paris den Gold-Triumph an
Roman Horschig |
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Der Weg nach Paris war für Magomed Schachidov mit harten Entscheidungen gepflastert.
IMAGO/Norbert Schmidt 3 Der Weg nach Paris war für Magomed Schachidov mit harten Entscheidungen gepflastert.
Stolzer Lehrmeister: Ali Cukur (rechts) hat Magomed Schachidov in die Kunst des Boxen eingeführt.  Fotos: imago, privat/ho
privat 3 Stolzer Lehrmeister: Ali Cukur (rechts) hat Magomed Schachidov in die Kunst des Boxen eingeführt. Fotos: imago, privat/ho
Endlich in Paris: Box-Löwe Magomed Schachidov.
privat 3 Endlich in Paris: Box-Löwe Magomed Schachidov.

München - Ein Anruf kann im Leben eines Menschen alles verändern - positiv wie negativ. Es ist Mitte Mai, weniger als eine Woche, bevor die deutsche Equipe zur letzten Olympia-Qualifikation nach Bangkok aufbricht. Der Münchner Boxer Magomed Schachidov gilt unter den auserwählten deutschen Fightern als aussichtsreicher Kandidat für ein Olympia-Ticket. Bei den beiden vorherigen Qualifikationen ist er nur hauchdünn und nach Punkten umstritten gescheitert, dazu zeichnet den Kämpfer des TSV 1860 mentale Stärke aus. Und diese innere Stärke braucht er auch, als sein Handy klingelt.

Box-Löwe Schachidov: Der Olympia-Traum war in weiter Ferne

Seine Mutter liegt in der Heimat in der Krankenhaus-Notaufnahme mit heftigen Herz- und Nierenproblemen. Statt ins letzte Trainingslager eilt der Löwe zurück nach München. Als er sieht, wie ernst die Lage ist, bleibt ihm nur eine Wahl: Er muss die mutmaßlich letzte Chance auf die Sommerspiele von Paris absagen! "Es war maximal hart, doch für mich war die Entscheidung sofort klar", sagt der bodenständige Athlet, der seiner Mutter unbedingt beistehen will.

Eine Entscheidung des Herzens, die trotzdem wehtut. Jahrelange harte Arbeit für den großen Traum werden durch einen unvorhersehbaren Schicksalsschlag zunichtegemacht. Die alte Rocky-Balboa-Weisheit ist auf einmal ebenso wahr wie schwer erträglich: "Niemand schlägt härter zu als das Leben!"

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Und der Löwe ist stark getroffen, auch wenn sich seine Mutter wieder erholt. Bereits 2021 in Tokio hatte er die Spiele wegen einer Handverletzung verpasst, dazu steht er als Boxer erstmals seit Jahren ohne Ziel da und auch das Training wird ausgesetzt.

Schachidov doch noch zu Olympia – weil Gegner gedopt hatte

Doch das Handy klingelt noch einmal. Mitte Juli meldet sich Michael Müller, Sportchef des Deutschen Box-Verbandes (DBV), mit einer erneut unvorhersehbaren Nachricht. Schachidovs Gegner bei der ersten Olympia-Qualifikation in Krakau sei des Dopings überführt worden. Der boxende Sechzgerrücke für den Betrüger nach. Olympia in Paris, erst so fern und plötzlich ganz nah. "Nach dem Anruf hatte ich so viele Gedanken im Kopf, am Ende war da aber vor allem Vorfreude", sagt Schachidov. Ein Gänsehaut-Moment, der Traum geht doch noch in Erfüllung.

Endlich in Paris: Box-Löwe Magomed Schachidov.
Endlich in Paris: Box-Löwe Magomed Schachidov. © privat

Nach der finalen Vorbereitung in Saarbrücken führt der Weg directement in die französische Hauptstadt. Hier trifft der Münchner die absolute Welt-Elite im Halbmittelgewicht. Zwanzig Boxer kämpfen um die Medaillen. Schon zwei Siege können für Edelmetall reichen, für Gold sind minimal vier Triumphe nötig. Drei mal drei Minuten im Ring - vielleicht für die boxerische Ewigkeit! Und ein Mann wird ganz genau hinschauen: Magomed Schachidovs Vater Elim-Sultanovic.

Schachidow über seinen Vater: "Was dieser Mann geleistet hat, ist unglaublich"

Er entzündet einst das olympische Feuer bei seinem Sohn, sagt ihm: "Olympia ist das Höchste, was ein Athlet in seiner Karriere erreichen kann." Worte, die Schachidov antreiben. Sein Vater ist seit jeher sein Vorbild, ein Idol, an dem er sich aufrichtet. "Was dieser Mann geleistet hat, ist unglaublich. Eine Familie durch den Krieg zu bringen und unter großem Risiko schnelle Entscheidungen zu treffen, davor ziehe ich den Hut." Schachidovs Vater flieht mit der Familie mitten im militärischen Konflikt aus Tschetschenien nach Deutschland, Magomed ist damals neun Jahre alt und wächst dann in Perlach auf. Sein Vater ist auch der Erste, der vom spontanen Olympia-Glück per Anruf erfährt. "Zeig dich von deiner besten Seite", gibt der Senior seinem Sohn mit auf den olympischen Weg.

Stolzer Lehrmeister: Ali Cukur (rechts) hat Magomed Schachidov in die Kunst des Boxen eingeführt.  Fotos: imago, privat/ho
Stolzer Lehrmeister: Ali Cukur (rechts) hat Magomed Schachidov in die Kunst des Boxen eingeführt. Fotos: imago, privat/ho © privat

Und dies versucht der "Son of War" (dt. Sohn des Krieges) schon seit mehr als einer Dekade. 2011 beginnt er mit dem Faustkampf beim TSV 1860 unter Trainerlegende Ali Cukur. Mit dessen Hilfe schafft er es, seine Kriegstraumata positiv zu kanalisieren. "Magomed brannte schon immer fürs Boxen, vor den Kämpfen hat er schon in jungen Jahren ungeduldig die Fäuste zusammengeschlagen und konnte es kaum abwarten", sagt der Abteilungsleiter der Löwen-Boxer schmunzelnd.

Schachidov ist erster bayerische Boxer bei Olympia seit  2016

2018 ruft dann der Olympiastützpunkt in Heidelberg, heute lebt Schachidov mit seiner Frau auch am Neckar. Bei internationalen Turnieren sammelt der offensiv ausgerichtete Fighter sieben Goldmedaillen, unter anderem gewinnt er den renommierten World Cup. Nun ist der Schachidov der erste bayerische Boxer bei Olympia seit Serge Michel 2016 und der erste Box-Löwe überhaupt. Schon jetzt herausragende Leistungen, die auch den TSV überaus stolz machen. "Bei Magomed war das im Ring oft kein Kampf, sondern Musik. Er hat uns das Boxen noch mal lieben gelernt", sagt Cukur mit einem Hauch an Poesie und betont: "Paris ist jetzt seine ganz große Chance!"

Auch Löwen-Präsident Robert Reisinger ist begeistert: "Für jeden aktiven Sportler ist eine Teilnahme an Olympischen Spielen eines der ganz großen Karriereziele. Zu unserer großen Freude zählt der TSV 1860 München immer wieder Sportlerinnen und Sportler in seinen Reihen, die sich diesen Traum erfüllen können. Bei uns dominieren in der Hinsicht die Wintersportler. Dass sich mit Magomed Schachidov auch ein Athlet für die Sommerspiele in Paris qualifizieren konnte, ist eine fantastische Sache."

Nur drei deutsche Boxer bei Olympia in Paris dabei

Neben Schachidov stellt Deutschland mit Fliegengewichtlerin Maxi Klötzer und Superschwergewichtler Nelvie Tiafack nur zwei weitere Athleten beim größten Sportereignis der Welt. "Das Ziel für das Trio ist eine Medaille", sagt Sportdirektor Müller. Der letzte bayerische Boxer, dem dies bei den Spielen gelingt, ist Günther Meier 1968 mit Bronze in den Höhen von Mexiko-Stadt. Letzter deutscher Box-Medaillengewinner: der Hamburger Artem Harutyunyan mit Bronze in Rio de Janeiro 2016.

Schachidov plant auch Großes. Auftaktgegner Tiago Muxanga aus Mosambik wird sich ihm am Sonntag um 20 Uhr in den Weg stellen. "Ich will die Olympischen Spiele in Paris gewinnen", sagt er selbstbewusst.

Sein Vater sollte das Handy besser schonmal laut stellen.

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