Lienen: Ein Pazifist spielt Krieg

Ewald Lienens Handschrift bei 1860 ist bereits zu erkennnen, auch wenn er noch nicht viel ändert. Geschäftsführer Manfred Stoffers spricht von einer "Kultur des Zuhörens".
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MÜNCHEN - Ewald Lienens Handschrift bei 1860 ist bereits zu erkennnen, auch wenn er noch nicht viel ändert. Geschäftsführer Manfred Stoffers spricht von einer "Kultur des Zuhörens".

Auf Demos geht Ewald Lienen schon lange nicht mehr. Auch die langen Haare sind längst ab, das Ho-Chi-Min-Bärtchen sowieso. Geblieben ist dem neuen Löwen-Trainer aber der Hang zum Unerwarteten. So trickreich, wie er als Stürmer in den siebziger und achtziger Jahren die Verteidiger zur Verzweiflung brachte und das Establishment überraschte mit seinem Bekenntnis zum Politischen, so pointiert und feinsinnig redet und handelt er heute noch als Fußballtrainer.

Lienen ist gekommen, um bei den Spielern „die Handbremse im Kopf“ zu lösen, er will seinen Krisen-Kickern wieder den „Spaß am Fußball vermitteln.“ Als erste Maßnahme verordnete er seinen Spielern vor den wichtigen Abstiegs-Endspielen gegen Aachen am Sonntag (14 Uhr, Liveticker bei abendzeitung.de) und kommende Woche beim Club erstmal eine recht lockere Trainingswoche. Nur einmal am Tag empfing Lienen seine Spieler zum Training: „Was hilft es mir, wenn ich ein Trainings-Casting mache, sich die besten Spieler bei mir empfehlen und die dann am Sonntag beim Spiel alle müde sind?“, fragt er.

Überhaupt scheint er seine Spieler nicht überfordern zu wollen in seiner ersten halben Woche als Löwen-Dompteur. Gegen Aachen werden die spielen, die auch unter Uwe Wolf zuletzt von Anfang an ran durften, auch die Taktik bleibt die gleiche. Für Änderungen ist keine Zeit. „Ich versuche die Spieler mitzureißen, sie mitzunehmen und sie dort abzuholen, wo sie sind“, sagt Lienen. 1860-Geschäftsführer Manfred Stoffers will bei den Spielern sogar schon eine „neue Kultur des Zuhörens“ gemerkt haben.

Dazu bedient sich Lienen einer Sprache, die die Spieler verstehen. Als ein Löwe am Freitag beim Zweikampftraining in Höchstgeschwindigkeit nicht richtig mitzog, schrie Lienen über den Platz: „Du sollst ihm nicht in die Wade beißen, du sollst laufen!“ Ein Spruch, der einige Spieler zum Lachen verleitete. Was Lienen gar nicht gefiel. „Was gibt es hier zu lachen“, fragte er, „das hier ist Krieg!“ Lienen, der frühere Linksaußen des deutschen Profi-Fußballs, der für die Friedensliste für den Landtag in NRW kandidierte, übt auf dem Fußballplatz jetzt den Krieg!

„Es war eine große Bestätigung für mich, dass der millionenfache Protest innerhalb der Friedensbewegung, etwa für die Reduzierung der atomaren Bedrohung, nicht umsonst gewesen ist. Da ein ganz kleines bisschen mitgewirkt zu haben, macht mich stolz“, hat Lienen in einem Interview einmal gesagt. Und natürlich ist der 55-Jährige auch im Alter ein Pazifist geblieben. „Seien Sie sicher, ich bin immer noch Pazifist“, sagte er der AZ, „und der Fußball ist auch alles andere als Krieg. Aber ich kann nicht mit meinem Kaffeetrink-Gesicht auf den Fußballplatz gehen. Ich muss ein anderes Gesicht aufsetzen, sonst gewinnst du keinen Zweikampf.“

Der Coach will aggressive Spieler auf dem Platz haben, Spieler, die an sich selbst glauben, überzeugt sind von ihrer eigenen Stärke. „Ich will die Spieler kitzeln, damit sie alles aus sich herausholen“, sagt er. Auch darum verzichtet er am Sonntag auch auf die Einblendungen der Spielergebnisse aus den anderen Stadien. "Wir dürfen nur auf uns schauen", sagt er, "was bringt es einem Spieler, wenn er weiß, wie es in den anderen Stadien steht. Will er das Fußballspielen einstellen, wenn die Ergebnisse positiv sind für uns?" Und Spieler, die ihn in der Halbzeitpause nach den Ergebnissen aus den anderen Spielen fragen würden, würde er ohnehin gleich auswechseln.

Lienen will Spieler, die so Fußball spielen, wie er selber es getan hat, die kämpfen, bis zum Abwinken, die „an ihre eigene Stärke glauben“. Vor allem aber scheint Lienen Spieler zu haben wollen, die miteinander reden. „Fußball ist Kommunikation“, sagt er, "wenn sich die Spieler entscheiden, im Spiel früh zu attackieren, dann die ganze Mannschaft mitziehen. Dann müssen sie miteinander reden“. Dass der Ton dabei mitunter etwas rauer werden kann, hat Lienen, abseits des Fußballfelds eher ein Freund des leisen, linksintellektuellen Witzes, seinen Spielern jetzt schon mal vorgemacht.

Filippo Cataldo, Boris Breyer

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