Konietzka: So plant er seinen Tod
Meisterlöwe Timo Konietzka plant seinen Tod. Wie zuletzt Gunter Sachs und Rena Lange will er sich das Leben nehmen. Der Ex-Nationalspieler ist in der Schweiz daheim, dort ist Sterbehilfe erlaubt. Die AZ besuchte ihn am Vierwaldstätter See.
Sein Grab sieht Timo Konietzka jeden Morgen. Er schnürt seine Schuhe, läuft in Richtung Uferpromenade, dann blickt er auf den Vierwaldstätter See. Es ist ein warmer Tag im Schweizer Frühling, viel zu warm für diese Jahreszeit. Die Sonne steht hoch über den Bergen, über das Wasser weht eine leichte Brise. Timo Konietzka sitzt am Seeufer in Brunnen und erzählt wieder vom Tod.
„Meine Frau und meine Kinder werden dabeisein. Ich werde ihnen sagen, dass ich sie nicht mehr wiedersehen werde. Dann schlucke ich den Trunk und winke. 20 Minuten später bin ich weg.“ Mit Trunk meint Timo Konietzka den Giftcocktail, ein tödliches Barbiturat. Nach einigen Minuten wird er einschlafen, der Tod tritt durch eine Kombination von Atem- und Herzstillstand ein. Dann soll seine Asche auf dem Vierwaldstätter See verstreut werden. Seinen Abschied hat der 72-Jährige hunderte Male in Gedanken durchgespielt. Er wirkt routiniert, wenn er darüber spricht. Oder wie jemand, der sich seiner Sache sehr sicher ist.
Für die Sterbehilfe hat sich Timo Konietzka schon vor vielen Jahren entschieden. In der Schweiz, im Gegensatz zu Deutschland, ist der assistierte Suizid legal. Vor einer Woche haben die Schweizer im Kanton Zürich abgestimmt, die Sterbehilfe bleibt erlaubt. Beim Verein „Exit“ ist Konietzka „Mitglied auf Lebenszeit“, wie er sagt. Nach zwei Herzattacken, eine kurz vor Weihnachten, die andere im Januar, sprach Timo Konietzka öffentlich über seinen Plan. „Viele haben mir Briefe geschrieben und versucht, mich umzustimmen. Aber ich will das. An ein Leben nach dem Tod glaube ich nicht.“ Und unsterblich als Fußballer hat sich Timo Konietzka längst gemacht.
Am 24. August 1963 schoss der Stürmer für Borussia Dortmund das erste Tor der Bundesligageschichte, 1966 wurde er mit den Löwen zum bislang einzigen Mal in der Vereinsgeschichte deutscher Meister. Länderspiele, zweimal gegen Pele, als Trainer vier Meistertitel in der Schweiz. Timo Konietzka stammt aus Lünen im Ruhrpott, sein Zuhause ist mittlerweile die Schweiz. Sein Handy klingelt nicht, es jodelt, wenn jemand anruft.
Im Erholungsparadies Brunnen am Vierwaldstätter See führt er mit seiner Frau Claudia den Gasthof „Zum Ochsen“, im ältesten Haus des Ortes. Die Spezialität ist Hähnchen, man kann auch übernachten. Manchmal trägt er leere Flaschen weg oder Kartons, wenn im Restaurant viel los ist, bedient er in der Küche den automatischen Geschirrspüler. Als Fußballer und Trainer eine Autorität und ein harter Hund, überlässt er die Geschäfte hier seiner Frau. Sonst sitzt er bei den Gästen und erzählt von früher. In der Gaststube hängen Bilder mit ihm und Giovanni Trapattoni, Ottmar Hitzfeld, Franz Beckenbauer. Viele kommen wegen des berühmten Fußballers Timo Konietzka nach Brunnen, darauf ist er stolz.
Um den Hals trägt Timo Konietzka ein Schweizerkreuz, dazu einen Trachtenjanker, die gleiche generalstabsmäßige Stoppelfrisur wie damals. Nur grau sind die Haare geworden. Wenn er am Ufer des Vierwaldstätter Sees spazieren geht, ruft ihm alle zehn Meter irgendwer ein „Salü, Timo“ zu, dann bleibt Timo Konietzka stehen und unterhält sich kurz. Er genießt die Aufmerksamkeit.
Vor einigen Wochen fragte ihn der schlechteste Fußballverein der Schweiz, der Fünftligist Ebikon, als Trainer an.
Zwei Jahre lang hatte die Mannschaft nur verloren. Timo Konietzka konnte nicht Nein sagen. Obwohl ihm sein Arzt davon abrät, leitet er drei Tage das Training. Das Spiel mit Konietzka auf der Bank endet 1:1. Er hätte auch bis Saisonende weitermachen können. „Aber das war für mich eine einmalige Sache. Zusammen mit 18-jährigen, 20-jährigen Spielern, da würde ich doch bald nicht mehr ernst genommen. Die Sache ist vorbei.“ Sowieso: Seit den beiden Herzattacken hat sich viel geändert.
Die Tempoläufe lässt er sein. Jeden Morgen 60 mal 50 Meter am See. „Immer Vollgas, wie ein Profi. Aber das ist ja Mord. Dabei war ich immer stolz, dass ich noch so gesund bin.“ Statt Schnaps trinkt Timo Konietzka Rotwein, das hat ihm sein Arzt geraten, und wenn ihn Gäste bitten, eine Runde mitzutrinken, lehnt er auch mal ab.
Es war in den Wochen vor Weihnachten 2010, Abschied feiern mit einem befreunden Wirt. Bier, ein paar Schnäpse, um halb drei ging Timo Konietzka ins Bett. Wie jeden Morgen ging er einige Stunden später joggen. „Der Alkohol war wahrscheinlich noch nicht ganz weg. Beim Laufen hatte ich auf einmal unglaubliche Schmerzen in der Brust.“ Diagnose der Ärzte: Vorhofflimmern.
Das zweite Mal war am 10. Januar bei der Wahl des Weltfußballers in Zürich. Fifa-Präsident Joseph Blatter war gerade mit seiner Rede fertig. „Da wurde mir komisch und ich bin rausgegangen.“ Dann setzt Timo Konietzkas Erinnerung aus, er erwachte auf einem Flur, kam wieder ins Krankenhaus. Hat er jetzt Angst vor der nächsten Herzattacke, vor dem Tod? „Ich habe den Krieg miterlebt, fünf Jahre in Dortmund im Kohlebergwerk in 700 Metern Tiefe geschuftet.“ Nein, so einer hat keine Angst. Nur davor, so zu enden wie viele seiner Verwandten und Freunde.
Die Schwester starb an Krebs, an Maschinen angeschlossen und lange künstlich am Leben erhalten. Der Bruder siechte im Rollstuhl mit Knochenkrebs dahin, abgemagert und vollgepumpt mit Morphium.
Am schlimmsten war für Timo Konietzka der Besuch bei seiner Mutter im Pflegeheim. „Kennst Du den?“, wurde sie gefragt, als ihr Sohn im Flur vor ihr stand. „Na“, sagte sie, drehte sich um und ging.Das tut weh, noch immer. „So etwas will ich meiner Frau und meiner Familie nicht antun.“ Den Selbstmord sieht er als letzten Ausweg, „wenn das Leben keinen Sinn mehr hat“.
Timo Konietzka steht am Ufer des Vierwaldstätters Sees, er blinzelt im Sonnenlicht. Er schaut aufs Wasser und sagt: „Wenn es einmal soweit ist, habe ich eine wunderbare Zeit erlebt.“