Hendl, Gurken, Ostereier

204 Lokalderbies in 108 Jahren, zwischen Giesing, Fröttmaning und Hinterdupfing: Die reizvollen Spiele zwischen den Löwen und den Bayern. Auch wenn sie anfangs kaum einen interessierten
MÜNCHEN Den Münchnern war’s aber auch sowas von wurscht. Wen scherte es, dass der Fußballclub Bayern drei Tore schoss und der Turnverein von 1860 gar keins. Wichtiger war an jenem 21. September 1902 in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ , dass der Graf von Törring-Jettenbach den Griffon-Hundeklub zur Herbstjagd bat.
Hunde und Füchse waren wichtig. Aber keine Löwen, als die Bayern und die Sechzger erstmals aufeinander trafen. 108 Jahre und 203 Lokalderbies später hat sich da vieles geändert. Nicht nur, dass die Bayern nicht mehr in weiß-blau spielen. Die AZ blickt zurück, auf bewegende Derbies.
Der Eklat: Anfang 1927, die Not ging um in München, es gab jede Woche 9000 Arbeitslose mehr und an Dreikönig auch noch großen Ärger. Beim einzigen Spielabbruch in der Derby-Historie. Nach acht Minuten, weil der Platz durch Eis und Schnee nicht bespielbar war. Das Publikum tobte, Zuschauer rannten auf den Platz, Schiri und Spieler flüchteten, teils Richtung Grünwald, teils gen Giesinger Berg. 17 Tage später die Neuauflage, die Löwen siegten 5:2. Die blaue Seele war wieder beruhigt.
Der Torreigen: 32 Jahre später, wieder Aufruhr. Diesmal wegen des Oktoberfests. Die Preise waren wieder einmal gestiegen, auch damals schon ein ewiges Ärgernis. Und jährlich grüßt der Wiesn-Wirt. Das halbe Hendl acht Mark, die Mass eins neunzig. Mehr Freude machte da das Derby. Zumindest für die Bayern, 6:4 in der Oberliga Süd, zehn Tore, so viel wie sonst nie mehr. Für die Bayern gab es eine kaum bezahlbare Sonderprämie: Hendlmarken für die Wiesn.
Die Premiere: August 1965, die Beatles veröffentlichen ihr Album „Help“. Verzweifelte Hilferufe gibt es auch bei den 44 000 auf Giesings Tribünen. Denn das Derby am ersten Spieltag ist ein fürchterlicher Krampf. „Gurkenspiel“, schimpft Löwen-Trainer Max Merkel, außer dem Tor von Konietzka nach wenigen Sekunden tut sich wenig, beim ersten Bundesliga-Spiel der Bayern nach dem Aufstieg. Franz Beckenbauer spielte Rechtsaußen, Gerd Müller Verteidiger. „Des war nix“, schimpfte Sepp Maier. Der spielte immerhin richtig. Im Tor.
Die Watschn: Maier und Müller spielten auch im November 1977. Beckenbauer auch, aber nicht mehr beim Derby, sondern in New York bei Cosmos. Die Löwen gewannen 3:1. Scheller traf zweimal, Kohlhäufl einmal. Rummenigge traf auch. Zielsicher, bei seiner Watschn gegen Beppo Hofeditz, weil er sich beleidigt fühlte. Der streitet auch heute noch alle Vorwürfe ab. „Ich habe nie ’Rote Sau’ gesagt“, beteuert Hofeditz heute. Gedacht vielleicht. Rummenigge sah Rot, die Bayern stürzten auf Platz 15, die Löwen blieben Letzter, es drohte eine Bundesliga ohne München.
Der Depp: 1998, Sechzig kämpft Anfang April gegen den Bundesliga-Abstieg, Bayern um den Titel. Torwart Bernd Meier vergrößerte das Elend der Löwen, er legte Carsten Jancker den Ball vor die Füße. Der Bayern-Stürmer legte den Löwen am Tag vor Ostersonntag ein Ei ins Nest, Bayern siegt 3:1. Am Ende endete die Saison aber doch glücklich für die Löwen. Man stieg nicht ab, noch schöner: Bayern mal nicht Meister..
Die Erlösung: 22 Jahre sieglos gegen die Roten, nie war die Leidenszeit länger. Bis im November ’99 das Martyrium endete. 1:0, danke, Thomas Riedl.
Das Letzte: Februar 2008. Pokal-Viertelfinale, Ribéry schießt die Roten per Elfer ins Halbfinale. Seitdem warten die Fans vergeblich aufs 205. Derby. Ein Freundschaftsspiel im Januar 2009 sagte Bayern ab. Stadionstreit, Catering, Mietkosten; ist zur Zeit nichts mit Freundschaft. Besser so. Ein Spiel als Hinterdupfing auf Bayerns Gnaden, lieber nicht. Lieber warten aufs Wiedersehen in der Bundesliga. Auch wenn’s dauert. Hoffentlich keine 22 Jahre.
Die Bilanz: 105 Siege für die Roten, 49 für die Löwen bei 50 Unentschieden. Dass Sechzig die Bayern hier einmal übertrumpft? Eher kostet die Wiesn-Mass wieder eins-neunzig. Florian Kinast