Ehemaliger TSV-1860-Spieler Gerhard König erklärt berühmte Watschn für Franz Beckenbauer: "Hat mich saublöd angeredet"

München - Er sorgte für die wohl berühmteste Watschn in der deutschen Fußballgeschichte: Gerhard König. Im AZ-Interview erinnert sich der Münchner an die "Schelln" für Franz Beckenbauer und erzählt, wie es für ihn persönlich nach dem Duell mit dem "Kaiser" weiterging.
AZ: Herr König, wie Sie sich gewiss denken können, rufen wir wegen Franz Beckenbauer an: Wie haben Sie die Nachricht seines Todes aufgefasst, nachdem Sie, der König, dem "Kaiser" im Jahre 1958 eine so legendäre Watschn verpasst haben?
GERHARD KÖNIG: Es tut mir sehr leid, wirklich wahr. Ich hätte dem Franz gerne noch ein paar mehr Lebensjahre vergönnt. Er hat uns, unserem ganzen Land, so viel gegeben. Ich bin traurig, dass er von uns gegangen ist.
Welche Erinnerungen werden bei Ihnen wach, wenn Sie an Beckenbauer denken: dieses eine, denkwürdige Duell, als Sie mit einer Schülermannschaft des TSV 1860 gegen Beckenbauers Heimatverein SC 1906 gespielt haben – oder die drei großen Weltmeisterschafts-Erfolge, an denen er bei allen beteiligt gewesen ist?
Ich verbinde natürlich alles mit ihm: Er hat Deutschland 1974 zum Titel geführt, hat uns 1990 als Trainer den Weltmeisterpokal beschert – und auch 2006 hat er uns die WM geschenkt. Ich habe damals mit meiner Frau einen Ausflug nach Köln gemacht und habe dort erlebt, wie fröhlich die Menschen auf den Straßen waren: Wir haben Brasilianer und Mexikaner gesehen, die getanzt und gefeiert haben. Diese Stimmung, das war einmalig. Ich habe noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Der Begriff Sommermärchen trifft es bestens. Ich denke aber als erstes an dieses eine Spiel zurück – und die Watschn...
Bevor wir Sie dazu ausfragen: Erzählen Sie uns doch aus Ihrer Sicht, wie diese Geschichte damals zustande gekommen ist.
Es war 1958 in Neubiberg, bei einem Jugendturnier. Ich war Torwart und habe bei Sechzig in der ersten Schülermannschaft angefangen – eigentlich.
Gerhard König watschte Franz Beckenbauer: "Er hat mich saublöd angeredet"
Ein ziemlicher Zufall also, dass sich Beckenbauer damals eine fangen sollte.
Genau. Weil wir zu wenig Leute waren, hab‘ ich Verteidiger gespielt und damit als Feldspieler gegen den Franz. Er war damals schon ein super Spieler und ich musste ihm ein paar Mal gescheit auf die Füße steigen (lacht). Wie man sich vorstellen kann, fand er das nicht gut und dann ist eines zum anderen gekommen: Er hat mich saublöd angeredet. Ich habe gesehen, dass der Schiri wegschaut – und da habe ich ihm eine Schelln gegeben. Zum Glück bin ich ohne Strafe davongekommen.
Die Strafe für Sechzig sollte, wenn man so will, von größerem Ausmaß sein.
Kann man so sagen. Beckenbauer wollte, wie sich erst später herausgestellt hat, mit fünf, sechs anderen Spieler vom SC 1906 zu Sechzig wechseln. Er ist ja in Giesing groß geworden, da wäre das eine logische Wahl gewesen, zu den Giesingern zu gehen. Nach der Watschn hat er gesagt, wie wir alle wissen: "Zu den Löwen gehe ich nicht!" Daraufhin ist er zum FC Bayern gewechselt. Den Rest der Geschichte kennen wir ja: Er hat dort Titel ohne Ende gesammelt und ist zu einem der besten Fußballer auf der Welt geworden.
Und das alles nur, weil sich der Kaiser mit dem König angelegt hat...
Dafür war er mit seinem immensen Talent schon selbst verantwortlich. Aber ich bin mir sicher: Bei den Löwen wäre der Franz zwar auch ein super Kicker geworden, aber er hätte nicht diese Weltkarriere hingelegt. Beim FC Bayern ist er von Robert Schwan und Wilhelm Neudecker (Manager und Präsident des FCB, d. Red.) ungemein gefördert worden, das muss man neidlos anerkennen. Von daher hat dem Kaiser die Watschn vom König nicht geschadet (lacht).
Gerhard Königs Wiedersehen mit Beckenbauer: "Der Franz war überhaupt nicht mehr böse"
Diese ganze Giesinger Geschichte wurde erst viele Jahre später publik. Wie ist das gelaufen?
Ich selbst habe meine "Karriere" ein, zwei Jahre nach diesem Vorfall ja aus beruflichen Gründen schon wieder an den Nagel gehängt, etwa mit 15 Jahren. Ich hatte Kunstschlosser gelernt und wollte auch nicht ständig mit dem Radl vom Perlacher Forst an die Grünwalder Straße fahren. Als junger Bub war ich noch ein Depp (lacht). Ich habe zwar noch für Pasing und später im Allgäu Fußball gespielt, aber ich habe auch geheiratet, bin mit meiner Frau nach Füssen gezogen und habe dort 1971 eine Gaststätte übernommen. 24 Jahre lang hatten wir dann das Restaurant "Adler". Ich hatte immer Angst, dass mir diese Watschn nochmal zum Verhängnis wird und dass mich wütende Löwenfans ausfindig machen. Von daher habe ich das nicht an die große Glocke gehängt und mich nie gemeldet, als das manchmal im Fernsehen gekommen ist.
Und dann?
Dann war ich einmal in Afrika, in Namibia und Botswana auf Safari, mit der Allgäuer Zeitung. Dann habe ich diese Geschichte eines Abends erzählt, am Lagerfeuer. Da meinte ein Reporter, der mitgereist war, zu mir: "Da müssma was machen!" Ich habe ihm geantwortet: "Na, i mog ned!" Aber er hat mich überzeugt und dann ist das Ganze irgendwann beim Bayerischen Rundfunk gelandet.
Prompt kam es zum Wiedersehen mit Beckenbauer – und Sie konnten, sofern man überhaupt davon sprechen konnte, ein uraltes Kriegsbeil begraben.
Genau. Wir haben uns zum ersten Mal im Olympiastadion wieder getroffen. Man hat sich die Hand gereicht, da war überhaupt kein Grant. Der Franz war überhaupt nicht mehr böse, er war sehr freundlich und hat mich gefragt: "Wie geht es Dir, alles in Ordnung?" Er ist mir gegenüber wie ein ganz normaler, legerer Mensch aufgetreten. Ich habe ihn dann auch bei seinem 65. Geburtstag nochmal getroffen, auf Einladung vom BR. Das war beim Brunnerwirt in Lansing, wo sie die TV-Sendung "Dahoam is Dahoam" gedreht haben. Markus Othmer war der Moderator und ich wäre da auch noch drangekommen. Dann meinte der Othmer irgendwann: Entschuldigen Sie, wir haben keine Sendezeit mehr." Aber das war kein Problem.
Wie möchten Sie Beckenbauer nun in Erinnerung behalten?
Ich behalte ihn, auf und neben dem Platz mit seiner unnachahmlichen Art, in bester Erinnerung. Ich habe, obwohl ich damals ein Löwe war, immer mit ihm mitgefiebert. Ich war ja auch ein Münchner und da muss man anerkennen, was er mit den Bayern für unglaubliche Erfolge gefeiert hat, mit seiner ganzen Titelsammlung. Und in der Nationalmannschaft erst! Trotz des ganzen Geredes über die WM-Vergabe 2006 lasse ich auch da nichts auf Beckenbauer kommen. Es tut mir eher leid für ihn, denn das hat ihm ziemlich zugesetzt, so dass er sich aus der Öffentlichkeit zugesetzt hat. Er hatte ja leider öfter gesundheitliche Probleme, Herzprobleme. Ich bin einfach froh, dass ich ihn kennenlernen durfte. Er hat mir und dem ganzen Land viel Freude bereitet.