Grosser: „Plötzlich waren wir Profis – das war das Größte”

Löwen-Legende und Bundesliga-Pionier Peter Grosser über seinen Wechsel von den Bayern, die Stars von damals, den Traum vom grünen Rasen und ein manipuliertes Spiel.
von  Interview: Filippo Cataldo

Löwen-Legende und Bundesliga-Pionier Peter Grosser über seinen Wechsel von den Bayern, die Stars von damals, den Traum vom grünen Rasen und Spielmanipulationen

AZ: Herr Grosser, die Bundesliga feiert ihren 50. Geburtstag. Sie sind im Sommer 1963 als erster Spieler überhaupt vom FC Bayern zu den Löwen gewechselt. Um in der Bundesliga zu spielen? Die Bayern durften ja nicht in die neue Liga.

PETER GROSSER: Schmarrn, um die Bundesliga ging es da überhaupt nicht. Ich wäre gern bei Bayern geblieben, das war damals mein Verein.

Wieso dann der Wechsel?

Sagen wir’s so: Ich war das Opfer eines Machtkampfes in der Vereinsführung. Präsident Wilhelm Neudecker und sein Vorgänger Roland Endler, der damalige Haupt-Finanzier des Klubs, hatten sich zerstritten. Mein Problem war, dass ich mit Endler befreundet war und für seine Firma das Auslieferungslager in München für Schweiss-Elektroden geleitet habe. Also haben die Bayern am Ende der Saison meinen Vertrag nicht verlängert.

Und so haben die Löwen zugeschlagen?

Eigentlich gab es eine Vereinbarung zwischen den Klubs, dass man sich gegenseitig keine Spieler wegnimmt. Also sollte ich nach Düsseldorf, weil Endlers Fabrik in Neuss war. Aber eigentlich wollte ich nicht aus München weg. Dann hat sich ein Reporter der Abendzeitung eingeschaltet...

Erzählen Sie!

Eines Tages kam der Rolf Gonther, übrigens der erste, der den Beckenbauer Kaiser nannte, zu mir und meinte, dass ich mal die Löwen fragen solle...

War er von 1860 damit beauftragt worden?

Keine Ahnung, Aber einer musste ja den Anstoß geben. Am Ende hat der TSV 50000 Mark Ablöse für mich bezahlt – mehr war damals nicht möglich. Und ich bin halt rüber zu den Blauen.

Und standen am allerersten Bundesliga-Spieltag auf dem Platz.

Genau. Am 24. August 1963, ein Heimspiel gegen Braunschweig. Wir haben 1:1 gespielt, ich hab’ Rudi Brunnenmeier das 1:0 aufgelegt.

Und die Fans haben Sie sofort in ihr Herz geschlossen?

Gepfiffen haben die! Aber weil ich als Mittelfeldspieler einige Tore geschossen und sehr viele aufgelegt hab’, hat sich das bald gelegt.

Was hat sich für die Spieler am meisten verändert, als die Bundesliga kam?

Wir waren plötzlich Profis. Das war für mich das Größte überhaupt! Wir haben zwei Mal am Tag trainiert, vorher gab es nur drei Einheiten in der Woche. Ich habe den Job aufgegeben, wir haben ja ganz gut verdient.

Die Gehaltsobergrenze lag bei 1200 Mark im Monat.

Genau. Dazu kamen noch Siegprämien.

Und für die besten Spieler gab es noch ein bisschen was steuerfrei auf die Hand...

Davon weiß ich überhaupt nichts (grinst)! Wir haben gut verdient damals, ein Arbeiter hat vielleicht die Hälfte bekommen. Ich hab’ mir damals eine Wohnung in der Schönstraße angeschaut, knapp 100 Quadratmeter groß, die hätte 290 Mark Miete gekostet – knapp ein Viertel meines Gehalts. Mit einem Viertel seines Gehalts kann der Schweinsteiger ja fast das gesamte Glockenbachviertel mieten. Aber uns hat’s gereicht, wir hatten noch bescheidene Frauen...

Was hat sich noch geändert durch die Bundesliga?

In den Oberligen hast du halt zehn Mal gegen den VfR Mannheim, Offenbach oder Fürth gespielt. Und jetzt ging es gegen Dortmund, Köln, den HSV – das war schon was anderes. Zum HSV fällt mir noch was ein: Wir haben damals in Hamburg 5:0 verloren, und der damalige Trainer der Hamburger meinte, dass eine Mannschaft, die 5:0 verliert, nichts in der Bundesliga verloren hat. Im Rückspiel haben wir sie mit einem 9:2 heimgeschickt.

Wie sind Sie damals aus München zu den Auswärtsspielen gefahren?

Im Schlafwagen. Treffpunkt war immer Donnerstag Abend am Hauptbahnhof, am nächsten Tag um sieben bist du angekommen. Total gerädert. Dann gab’s Frühstück, dann Trainings, nachmittags ging es ins Kino und dann ins Café.

Wer waren damals die größten Stars in der Bundesliga?

Uwe Seeler, Wolfgang Overath – und unser Radi! Petar Radenkovic war weltklasse – und der erste Entertainer der Bundesliga, der wurde geliebt, das können Sie sich nicht vorstellen!

Wie war die Atmosphäre in den Stadien?

Viel besser als in den Jahren zuvor. Die Stadien waren viel kleiner als heute, die Leute saßen teilweise direkt am Spielfeldrand. Wenn ich in den Derbys gegen Nürnberg eine Ecke schießen wollte, musste ich erst die Zuschauer von der Eckfahne vertreiben (lacht).

Am Ende der ersten Saison wurde Köln Meister.

Hochverdient. Der FC war am besten auf die Bundesliga vorbereitet, Präsident Franz Kremer gilt ja nicht umsonst als geistiger Vater der Bundesliga.

Die Löwen landeten auf Platz sieben.

Nach der Hinrunde waren wir in Abstiegsgefahr. Trainer Max Merkel hat uns dann am Anfang der Rückrunde drei Wochen lang einkaserniert. Wir sind zum Spiel gefahren und sofort wieder ins Trainingslager. Das war brutal. Aber am Ende haben wir noch den DFB-Pokal gewonnen.

Auch am ersten großen Skandal war ein Löwen-Spieler beteiligt. Hertha BSC gab Mittelläufer Alfons Stemmer 2000 Mark. Dieser sollte absichtlich schlecht spielen.

Und das tat er dann auch. Leider! Hertha war stark abstiegsgefährdet, wir verloren 2:1 - und mir gingen 500 Mark Siegprämie durch die Lappen.

Von der Manipulation haben Sie nichts gewusst?

Natürlich nicht! Der Stemmer war in diesem Spiel richtig schlecht, hat jeden Zweikampf gemieden, kaum verteidigt. Aber wer denkt denn an sowas? Die ganze Geschichte kam auch erst Jahre später raus, als Hertha wegen illegaler Handgeldzahlungen zwangsabsteigen musste. Stemmer ging nach der ersten Bundesliga-Saison in die Regionalliga. Ich glaub, er musste, als die Sache auflog, 12.000 Mark Strafe zahlen.

1966 wurde 1860 dann Meister. Mit Ihnen als Kapitän.

Dabei wäre ich in der Meistersaison fast nicht mehr dabei gewesen. Die Bayern wollten mich nach ihren Aufstieg 1965 unbedingt zurückholen. Ich hätte es gemacht, zwischen Beckenbauer und Gerd Müller zu spielen, das wäre toll gewesen. Aber die Löwen haben mich nicht ziehen lassen.

Wünschen Sie sich manchmal, heute in der Bundesliga zu spielen?

Na klar! Allein wegen des Rasens. Wir haben ja das halbe Jahr im Matsch gespielt. Im Sechzger haben sie beim Einlauf Holzplanken aufgestellt, damit wir wenigstens trockenen Fußes zur Mittellinie laufen konnten vorm Spiel. Und natürlich ist heute das Niveau ein ganz anderes: Alles ist größer, schneller, bunter. Aber wir waren die Pioniere, mit uns hat die Professionalisierung des Fußballs begonnen. Ich bin sehr froh, dabei gewesen zu sein damals.

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