Giesinger Dreiecksbeziehung
München - Das Stadion, die Löwen und Giesing bilden ein Konglomerat, das durch eine Gemeinsamkeit gekennzeichnet ist: Man steht stets im Schatten anderer lokaler Größen. Und die im Herzen Giesings an pulsierenden Verkehrsadern gelegene Spielstätte bildet dabei wie kein zweites Bauwerk ein Identifikationsobjekt für den Stadtteil, der auf den ersten Blick arm an herausragenden Bauten ist. Erst bei genauerem Hinsehen tun sich dem Betrachter die verborgenen Reize des Viertels auf.
Die Vorstadt Giesing galt lange Zeit als verschmähtes Stiefkind Münchens und wurde als „Glasscherbenviertel” tituliert. Auch die Führungsriege des bürgerlichen TSV 1860 war lange Zeit nicht sehr glücklich über den Standort ihres Sportplatzes. Die Giesinger Bevölkerung bestand zu jener Zeit hauptsächlich aus der sogenannten Unterschicht, zumeist tätig als Tagelöhner, Fuhrleute oder Industriearbeiter. Die Mittelschicht war verschwindend gering und eine Oberschicht fehlte völlig. Mit der Zeit gingen der Stadtteil und der Verein aber eine Symbiose ein, die beiden Vorteile brachte – auch wenn immer wieder Probleme auftauchten. 1860 verdankt dem Arbeiterstadtteil seinen Ruf als Arbeiterverein, der aus Marketingsicht beim Buhlen um neue Anhänger stets hilfreich sein kann. Und Giesing gelangte durch die Erfolge der Fußballer zu überregionaler Bekanntheit. Auch wenn mancher Anwohner mal schlecht auf die allzu ausgelassenen Fußballanhänger zu sprechen war, so hängen die Giesinger doch bis heute an „ihrem” Stadion, das die frühere Untergiesinger Bezirksausschuss-Vorsitzende Christa Knappik sogar als „Kulturdenkmal” titulierte. Die nahezu einstimmigen Beschlüsse der Bürgerversammlungen in beiden Giesinger Bezirken, das Stadion dauerhaft zu erhalten, haben dies in den letzten Jahren eindrucksvoll bestätigt.
Die Teilung des 1854 zu München eingemeindeten Giesings in die Stadtbezirke 17 (heute Obergiesing-Fasangarten) und 18 (heute Untergiesing-Harlaching) war 1909 entlang der Tegernseer Landstraße erfolgt. Das Stadion befindet sich direkt an der Grenze der beiden Stadtbezirke und gehört zum Bezirk 18. Betrachtet man die historische Siedlungsentwicklung, so bildete das Stadiongelände bis Mitte des 20. Jahrhunderts den südlichen Abschluss des (Ober-)Giesinger Ortskerns, dessen einstiges Zentrum sich um die Heilig-Kreuz-Kirche befand.
Giesing wurde in den letzten Jahren von einem immer deutlicher zu Tage tretenden Wandel erfasst. In Obergiesing hat eine rasante Bautätigkeit eingesetzt. Aus Haidhausen, der Au und dem Glockenbachviertel schwappt das, was die einen Aufwertung, die anderen Yuppisierung und die Fachleute Gentrifizierung nennen, nun nach Giesing. Ein Abriss des Stadions, das an der städtebaulich markanten Isarhangkante liegt, hätte diesem Prozess wohl weiteren Auftrieb gegeben. Der mittlerweile beschlossene Erhalt des Stadions, vor allem aber auch der hohe Anteil von Sozial- und Genossenschaftswohnungen sowie viele Wohnblöcke der Nachkriegszeit, die für Zugezogene eher unattraktiv erscheinen, lassen hoffen, dass Mietpreiserhöhungen und sonstige Folgen der Gentrifizierung Giesing weniger stark erfassen, als es in den Nachbarvierteln der Fall war. Und dass alte und neue Giesinger zueinander finden und gemeinsam das Bewusstsein der Dreieinigkeit von Stadtteil, Verein und Stadion aufrecht erhalten.