Fremdgesteuert im Abstiegskampf

München - Aalen, Aue, St. Pauli und zum Glück auch der TSV 1860 – die letzten Vier der Liga feierten am Wochenende allesamt fast schon lebensnotwendige Siege und zogen Greuther Fürth (0:3 in Heidenheim) und den FSV Frankfurt (0:1 gegen 1860) mit in den Abstiegssumpf. Aus dem Vierkampf um den Klassenerhalt ist ein Sechskampf geworden. Was bei den anderen Teams für Hoffnung sorgte, spielt für die Löwen erst auf den zweiten Blick eine Rolle. Denn aus Sicht des TSV bleibt dem Tabellen-17. im Kampf um den Ligaverbleib weiterhin nur der Platz des Beifahrers. Gewinnen alleine reicht nicht mehr aus, um die Klasse zu halten. Die Löwen sind fremdgesteuert im Abstiegskampf.
Freitagnacht um 1.45 Uhr: Der Mannschaftsbus der Löwen rollt an der Grünwalder Straße vor. Der Sechzger-Tross ist ermattet von der Heimfahrt, von 90 Minuten harten Kampfes in Frankfurt. Drei Punkte haben sie im Gepäck. So richtig glücklich ist aber niemand. Unsicherheit herrscht vor. Man will dem Ganzen noch nicht recht trauen. Während die Spieler nacheinander heim fahren, geht Trainer Torsten Fröhling noch mal ins Büro. „Aufräumen und dann nach Hause. Aber schlafen kann ich nach solchen Tagen ohnehin nicht.“ Er weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie viel das 1:0 gegen Frankfurt wirklich wert sein wird. Die Abhängigkeit von den anderen Resultaten ist zu groß.
13 Stunden später hat Fröhling Gewissheit. Die drei Punkte waren überlebenswichtig. Nicht weniger, aber leider auch nicht mehr. Hätte Daniel Adlung in einem genialen Moment nicht Valdet Rama in den Raum starten und ihn elegant in Szene setzen können, wäre der Albaner in der 84. Minute vor dem Tor nicht cool geblieben, hätte 1860 nur Remis gespielt und nicht 1:0 gewonnen – die Löwen stünden zwei Spieltage vor Schluss vor dem Abstieg. Weil Aue in Berlin gewinnt, Pauli in Kaiserslautern und Aalen in Düsseldorf. So bleibt 1860 weiter einen Punkt hinter dem rettenden Ufer. Auf dem Beifahrersitz. Eben Fremdgesteuert.
Und selbst die zwei Punkte Vorsprung auf Rang 18 hängen am seidenen, juristischen Faden. Denn Aalen kündigt nach dem Sieg in Düsseldorf an, wegen des Zwei-Punkte-Abzugs für die laufende Saison das Ständige Schiedsgericht anzurufen. Die Aussichten mögen vage sein. Die Hoffnungen bei 1860 auf den Klassenerhalt sind nicht mehr viel besser.
Nicht nur deswegen ahnt auch Gary Kagelmacher schon vor den Samstagsspielen nichts Gutes. „Wir haben nichts erreicht“, sagt der Verteidiger am Tag nach dem Sieg in Frankfurt. „Wenn wir die letzten beiden Spiele verlieren, dann ist der Sieg auch scheißegal.“ Und Torschütze Rama ergänzt: „Es ist nicht einfach. Es herrscht krasser Druck.“ Druck, der sich vor einer Woche gegen Union Berlin noch in purer Angst auf dem Platz breit gemacht hatte. Druck, der vor dem kommenden Heimspiel gegen Nürnberg noch größer geworden ist. „Die Anspannung wird nicht weniger“, weiß Fröhling. „Das kostet viel Kraft, das beschäftigt uns sehr, diese Verantwortung.“ Verantwortung für den Klub. Für Giesing. Für München. „Es geht jetzt nur noch um den Biss, hier irgendwie durchzukommen.“
Irgendwie. Im letzten Heimspiel am Sonntag gegen Nürnberg und am 34. Spieltag in Karlsruhe. Erst ein Derby, in dem alles passieren kann. Dann gegen eine Mannschaft, für die es wohl noch um den Aufstieg gehen wird. Zwei Siege, davon geht man beim TSV aus, werden für den Klassenerhalt reichen. Nur wie soll das gelingen? Noch kein einziges Mal haben die Löwen in dieser Saison zweimal in Folge gewonnen. Jetzt müssen es, den Sieg in Frankfurt eingerechnet, gar drei Dreier in Folge sein. „Wir müssen uns selbst beweisen, dass wir das können“, sagt Adlung trotzig. „Wenn du nur an das Negative denkst, gehst du kaputt. Ich bin vom Happy End überzeugt.“
Deswegen versucht Adlung, seinen Mitspielern Mut zu machen. Am Sonntag im Derby gegen den Club werden wohl über 50 000 Zuschauer in die Allianz Arena kommen. Fröhlings Wunsch, den dritten Rang zu öffnen und noch einmal eine Bomben-Kulisse zu erleben, wird wohl erfüllt. Schon über 40 000 Tickets sind verkauft. Eine Atmosphäre, die Flügel verleihen kann. Die aber auch erdrücken kann. Gerade, wenn – wie in Frankfurt – wieder drei 19-Jährige (Weigl, Wittek, Wolf) in der Startelf stehen sollten. „Das wird richtig geil gegen Nürnberg“, wischt Adlung diese Zweifel beiseite. „Druck ist doch schön. Wenn’s um nix geht, ist es doch langweilig.“
Um Langeweile muss sich der Mittelfeld-Motor nicht sorgen. Gegen Nürnberg geht es ums Überleben. Das erste echte Endspiel. Verliert 1860, könnte der Abstieg perfekt sein. Und selbst, wenn der TSV gewinnt, ist nicht garantiert, dass die Situation danach besser aussieht. Die Löwen haben es nicht mehr in der eigenen Hand. Sie sind fremdgesteuert im Abstiegskampf.