Ex-Löwe Neudecker im Interview: "Mein erster Abgang von Sechzig war schlimmer"

München - AZ-Interview mit Richard Neudecker: Der 26-jährige Spielmacher vom 1. FC Saarbrücken spielte von 2012 bis 2016 und von 2020 bis 2022 bei den Löwen, dazwischen beim FC St. Pauli und beim holländischen Eredivisie-Klub VVV Venlo.
AZ: Herr Neudecker, wenn Sie auf die letzten Drittliga-Ergebnisse schauen, denken Sie dann eher: "Jawoll, Sechzig hat sich in Bayreuth blamiert!" Oder: "Schade, Löwen, hoffentlich gewinnt ihr bald wieder - bloß nicht am Sonntag (15 Uhr bei Magenta Sport und im AZ-Liveticker) im direkten Duell mit Ihrem neuen Klub, dem 1. FC Saarbrücken?
RICHARD NEUDECKER: Gute Frage. Es hat mich jedenfalls überrascht, dass sie in Bayreuth verloren haben. Grundsätzlich wär's mir am liebsten, wenn wir beide hochgehen würden. Am Samstag dürfen sie natürlich sehr gerne straucheln - und danach gerne wieder siegen. (lacht)
Neudecker über die Löwen: "Ich glaube, dass sie Elversberg so schnell nicht vom Thron stoßen"
Wie schaut es beim Blick auf die Tabelle aus: Schielen Sie da schon auf Sechzig und den Abstand zu Saarbrücken?
Ich bin kein großer Fan davon, ständig auf die Tabelle zu schauen - zumindest nicht in der Hinrunde. Unser Motto ist: Wir wollen die 60 Punkte knacken, auf Tuchfühlung bleiben - und dann schauen wir mal. Eines weiß ich aber: Wenn wir selber unser letztes Spiel gegen Meppen gewonnen hätten, dann hätten wir Sechzig mit einem Sieg im direkten Duell überholen können. Darauf hab' ich möglicherweise geschielt. (lacht) Ich weiß, dass sie Zweiter sind und glaube, dass sie Elversberg so schnell nicht vom Thron stoßen.
Sechzig, Ingolstadt, Dresden und Wehen Wiesbaden haben allesamt verloren, Sie mit Saarbrücken wie die SV Elversberg nur Unentschieden gespielt. Will da gar keiner aufsteigen?
Wenn es nur immer so einfach wäre. Aber es ist Spannung reingekommen, das Feld liegt eng beieinander. Du darfst dir nicht viele Ausrutscher erlauben. Wir ärgern uns selbst, dass wir gegen Meppen keinen Dreier gelandet haben, denn dann hätten wir einen Riesenschritt gehen können. Leider haben wir uns da nicht mit Ruhm bekleckert. Aber gerade im Vergleich zu Sechzig hat uns das 0:0 doch geholfen, als ganz kleiner Schritt.
Neudecker: "Sportlich wird es echt eklig werden, gegen die Löwen zu spielen"
Am Sonntag wollen Sie es gewiss besser machen: Welche Gefühle kommen in Ihnen hoch, wenn Sie daran denken, ins volle Grünwalder Stadion einzulaufen - und dann auch noch als Gegner?
Ich habe dort ja schon vor sehr langer Zeit einige Spiele gemacht, als ich in der Jugend bei den Löwen war. Vor nicht ganz so langer Zeit hab' ich noch mal einige Partien dort bestritten, nach meiner Rückkehr zu Sechzig. Ich freue mich sehr darauf, denn es ist für mich so eine Art Heimkommen. Ich freue mich auch, dass meine Familie im Stadion sein wird, dass ich viele bekannte Gesichter im Verein wiedersehen werde. Mit Hilles, Deichi und Niki habe ich noch viel Kontakt (Hiller, Deichmann und Lang, d. Red.). Ich freue mich auch auf das Spiel, aber sportlich wird es echt eklig werden, gegen die Löwen zu spielen.
Es können ja nicht viele Profis von sich behaupten, Sechzig gleich zwei Mal verlassen zu haben. Welcher Ihrer beiden Abgänge war schlimmer?
Der erste Abgang war eindeutig schlimmer. Ich habe es damals aus der Jugend zu den Profis geschafft und bin dann zu St. Pauli gewechselt. Das haben mir viele Fans übelgenommen. Damals wurde auch eine Geschichte daraus gemacht. dass ich angeblich Bayern-Fan wäre. Das war absolut aus dem Nichts geholt! Ich hatte, bevor ich zu den Löwen gekommen bin, ein Angebot von Sechzig und vom FC Bayern. Ich habe mich aber ganz klar und von Anfang an für Sechzig entschieden. Leider hat damals jemand nachgetreten.
Neudecker-Wechsel: "Mangelnde Kommunikation ging nicht nur vom Verein aus"
Sprechen wir über Ihren kürzlichen Wechsel von München ins Saarland: Nach unseren Informationen waren sowohl 1860, als auch Sie grundsätzlich bereit, zu günstigeren Konditionen zu verlängern. War's am Ende ein klassischer Fall von "blöd gelaufen"?
Absolut. Genau das würde ich drüberschreiben. Und in die Unterzeile vielleicht: Nächstes Mal mehr miteinander reden!
Sie werfen den Sechzgern also vor, nicht rechtzeitig mit Ihnen gesprochen zu haben? Ex-Löwe Felix Weber hat 1860 in der AZ kürzlich dafür kritisiert, dass man ihn zu lange in Unkenntnis darüber ließ, nicht mehr mit ihm zu planen.
Die mangelnde Kommunikation ging ja nicht nur vom Verein aus, das kreide ich schon auch mir selbst an. Und am Ende war es dann zu spät. Aber ich habe da kein böses Blut. Da wurde auch ein wenig mehr daraus gemacht, als es war. Es war schade. Aber ich habe mich mit Günther Gorenzel ausgesprochen, als ich ihn zufällig im Urlaub getroffen habe, in Lignano. Witzigerweise war das einen Tag, nachdem mir der Trainer gesagt hat, dass es nicht weitergeht. Jetzt geht's für mich in Saarbrücken weiter, und ich freue mich auf ein spannendes Duell mit den Löwen.
Können Sie die Sechzger-Fans verstehen, die sagen: Der hat zu hoch gepokert?
Klar kann ich verstehen, wenn da einer sagt: "Geht's dem nur ums Geld?". Fans reagieren emotional. Im positiven wie im negativen Sinn. Aber sie kennen meistens die genauen Hintergründe nicht. Deshalb hat es mich extrem gefreut, dass sie mich trotz allem zum "Löwen der Saison" gewählt haben.
Neudecker: "Wir waren eine tolle Truppe und hätten den Aufstieg packen können"
Auf welche schönen wie unschönen Momente im Löwen-Trikot blicken Sie zurück?
Ein absolutes Highlight war mein Profi-Debüt gegen Mainz 05, als wir die damals auch aus dem DFB-Pokal geworfen haben (2:1-Sieg 2015/16, d. Red.). Dann auch die Wochen, nachdem ich zurückgekommen bin, wie ich von den Fans herzlich willkommen geheißen wurde. Danach hatten wir viele coole Spiele in der Dritten Liga und haben uns unter Michi Köllner manchmal in einen Rausch gespielt. Es war top, wie wir uns das Saisonfinale gegen Ingolstadt am letzten Spieltag erarbeitet haben - leider haben wir's verloren.
Knapp vorbei an der Krönung.
Das nagt schon an mir. Auch, dass ich letztes Jahr zu Saisonbeginn ein Tief hatte, dass wir am Ende zwei Mal Vierter geworden sind. Wir waren eine tolle Truppe und hätten den Aufstieg packen können. Das war eine geile Zeit, nur leider war das Ende jeweils richtig kacke, weil wir so knapp vorbeigeschliffen sind.
Neudecker über Saarbrücken: "Auch ein cooler Traditionsverein mit tollen Fans"
Im Jahr 2018 war es Saarbrücken, das knapp gescheitert ist - in der Relegation an Sechzig.
Seitdem herrscht hier eine gewisse Abneigung gegen 1860. Das hab' ich am Anfang selbst gemerkt, als ich gekommen bin: "Da kommt ein Sechzger", hieß es da nicht gerade wohlwollend, obwohl ich damals ja gar nicht dabei war. Aber jetzt wollen wir diese Abneigung Sechzig spüren lassen. (lacht)
Bleibt zu klären, wie dieser Plan am kommenden Sonntag zum Erfolg führt, wenn Sie erstmals wieder auf die Löwen treffen.
Das wird echt komisch. Aber wir wollen schauen, dass wir aus dem Grünwalder etwas entführen! Wir haben hier eine Top-Truppe, die mich super aufgenommen hat. Wir haben erst zwei Pleiten, sind also schwer zu schlagen, auch wenn wir öfter was liegengelassen haben. Die Infrastruktur ist beim FCS vielleicht nicht so gut wie bei Sechzig, aber wir haben hier auch einen coolen Traditionsverein mit tollen Fans. Die sind schon vergleichbar mit den Löwen: Sie sind leidenschaftlich und treu, aber lassen dich schon spüren, wenn sie nicht zufrieden sind. (lacht) Sechzig schießt echt viele Tore und ist daheim eine Macht, aber sie kassieren zu viele Gegentreffer. Wir müssen lange die Null halten - und dann zuschlagen. Vielleicht kann ich ihnen dann über einen Standard einen reindrücken. . .