Ex-1860-Präsident Peter Cassalette: "Es ist doch eine Farce, was beim TSV passiert"

Die Amtszeit von Peter Cassalette als 1860-Präsident dürfte wohl jedem Löwen-Anhänger im Gedächtnis bleiben. Als einer der wenigen schafft er den Schulterschluss mit Hasan Ismaik, mit millionenschweren Investitionen sollte es Richtung Bundesliga gehen.
Es kam anders: Die Sechzger stiegen ab, bekamen keine Lizenz – und mussten sich aus der Regionalliga wieder nach oben kämpfen. Das erlebte Cassalette bereits nicht mehr als Präsident, er war nach dem Abstieg von seinem Amt zurückgetreten. Im AZ-Interview spricht der 70-Jährige über die turbulente Zeit und warum er glaubt, dass Hasan Ismaik dem TSV 1860 noch lange verbunden sein wird.
AZ: Herr Cassalette, als einstiger Oberlöwe sind Sie aus aktuellem Anlass in mehrfacher Hinsicht ein passender Interviewpartner. Beginnen wir mit einer Zahl: Sechs Jahre ist es her, seit 1860 aus der Zweiten Liga abgestiegen ist – und aus wirtschaftlichen Gründen in die Regionalliga durchgereicht worden ist. Was hätten Sie rückblickend anders gemacht?
PETER CASSALETTE: In den ersten Monaten hatte ich teils schlaflose Nächte: Was hätte ich – was hätten wir – im Präsidium anders machen können? In sportlicher Hinsicht war es natürlich tödlich für die Moral und das Engagement der Spieler, dass Anthony Power angeblich mehreren Stammspielern kurz vor Saisonende gesagt hat, dass es für sie bei 1860 nicht weitergeht. Über den Kurs mit Hasan Ismaik bin ich weiterhin der Meinung: Er war und ist alternativlos. Der ständige Widerstand im Verein, gegen Hasan, gegen das Stadion, das war auch ein Mitgrund, wieso das Projekt gescheitert ist.
Peter Cassalette: "Ich wusste schon damals, dass sie Hasan nicht loswerden"
Ihr Wirken bei 1860 wird oftmals in zwei Richtung interpretiert: Für manche waren Sie der Abstiegspräsident, für andere der einzige Oberlöwe, der mit Ismaik über einen längeren Zeitraum gut klargekommen ist.
Ich kann beide Sichtweisen verstehen. Ich bin zwar nicht in die Regionalliga abgestiegen, bin nicht selbst auf dem Platz gestanden und habe keine Spieler, Trainer oder Manager geholt, aber ich habe als Vereinsoberhaupt natürlich die Verantwortung getragen – und daher dann die Konsequenzen gezogen.
Sie mussten sich in der Folge den Vorwurf gefallen lassen, inmitten der größten Krise der jüngeren Vereinshistorie zu fliehen.
Das lasse ich nicht gelten: Der Verwaltungsrat Robert von Bennigsen hat mir damals in einer Krisensitzung gesagt: "Du musst nicht zurücktreten, aber wir gehen einen anderen Weg: Wir haben einen klaren Plan ohne Hasan – in sechs Monaten sind wir ihn los!" Jetzt sind es sechs Jahre! Ich wusste schon damals, dass sie Hasan nicht loswerden. "I will never give up!", hat er immer gesagt. Mir war klar, dass der geplante Weg, über eine Insolvenz, zum Scheitern verurteilt ist. Wahrscheinlich wäre ich aufgrund meiner Haltung deshalb bei der nächsten Mitgliederversammlung ohnehin abgewählt worden. Dort wollte ich die Gründe für meinen Rücktritt darlegen.
Aber?
Am Morgen der Versammlung hatte ich an der Windschutzscheibe meines Autos einen Zettel, auf dem stand: "Geh nicht zur Mitgliederversammlung – wir wissen, wo dein Auto steht!" Dann bin ich daheim geblieben. Seitdem war ich auf keiner Versammlung mehr – und nie mehr im Grünwalder.
TSV 1860: "Ohne den Abstieg, wäre es schnell in höhere Gefilde gegangen"
Gilt das Motto "Einmal Löwe, immer Löwe" bei Ihnen noch?
Meine Frau sagt, die Zeit bei 1860 war schädlich für meine Gesundheit. Löwen-Präsident zu sein, ist ja ein Ehrenamt. Ich war trotzdem fast täglich zehn Stunden im Büro, bin zu den Auswärtsspielen gefahren, zu den Heimspielen sowieso, habe Fanklubs besucht. Ich war unter anderem Vorstandsvorsitzender einer börsennotierten AG. Da war nie so viel Herzblut dabei wie bei den Löwen, auch nie so viel psychischer Stress. 1860 wird mich nie loslassen, aber ich war öfter kurz davor meine Mitgliedschaft aufzugeben.
Damit kommen wir zurück ins Hier und Jetzt: Ihr Nachfolger Robert Reisinger sagte bei der jüngsten Mitgliederversammlung am Sonntag: "Wir bezahlen noch heute für die Unvernunft der vergangenen Tage." Was sagen Sie dazu?
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass viel Geld verbrannt worden ist. Aber wir hatten damals vieles auf den Weg gebracht: Vorverträge mit mehreren Erstliga-Spielern. Wir hätten eine tolle Mannschaft gehabt, mit Ian Ayre einen Fachmann vom FC Liverpool, der das hochprofessionell angeleitet hat. Mit Benny Lauth wäre wohl eine Löwen-Ikone gekommen, um ihm über die Schulter zu schauen. Ich bin immer noch der Überzeugung, dass wir es schnell in höhere Gefilde geschafft hätten, wäre der Abstieg nicht geschehen.
Streit beim TSV 1860: "Dieser Konfrontationskurs ist nicht förderlich"
In Vereinskreisen wird die Schuld am Absturz in die Regionalliga Investor Ismaik in die Schuhe geschoben, der Jordanier hat dem im Gespräch mit der AZ vehement widersprochen. Wer trägt denn nun die Schuld?
Beide Seiten, ganz klar. Hasan hat natürlich auch Fehler begangen. Aber dieser Konfrontationskurs ist alles andere als förderlich. Damals gab es fünf Forderungen von Hasan, alle hinlänglich bekannt. Die Vereinsvertreter wollten in einer Krisensitzung nicht zustimmen.
Unseres Wissens waren darunter ein, zwei unerfüllbare Forderungen, etwa die Überführung der Jugendteams in die KGaA.
Stimmt. Aber der e. V. wollte ja gar nicht einmal verhandeln, weil sie Ismaik loswerden wollten. Robert Reisinger hatte damals nicht einmal mehr den Termin mit dem FC Bayern zum Verbleib in der Allianz Arena wahrgenommen, den ich ihm übergeben hatte.
Die Stadion-Frage beim TSV 1860: Was wäre im Falle eines Aufstiegs?
Womit wir bei der Rückkehr ins Grünwalder Stadion wären. Aus Ihrer Sicht also ein Fehler?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich liebe dieses Stadion, dort war ich als kleiner Junge, als Sechzig dort Meister geworden ist! Die Rückkehr zu den Wurzeln, der Aufstieg dort, die Tatsache, dass wieder alle Dauerkarten weg sind: Das zeigt, dass es nicht falsch war, dorthin zu gehen. Aber sich die Rückkehr in die Arena zu verbauen, war eine Entscheidung ohne Weitblick. Jetzt sieht man ja, was man davon hat. Im Aufstiegsfall dürfte man ein Jahr lang mit einer Ausnahmegenehmigung spielen. Und dann?
Kommen wir mal auf den Umgang mit Ismaik zurück: Wie soll es nun angesichts der verhärteten Fronten weitergehen?
Gute Frage. Es wird ja gerne behauptet, dass es eine Annäherung gäbe. Was man so hört, ist rein gar nichts dran. Es ist doch eine Farce, was bei 1860 passiert: Entweder ich gehe auf Konfrontationskurs und trenne mich, oder ich muss das Miteinander suchen. Ehrlicherweise muss man festhalten: Es ist ja nicht alles sch***e, viele Leute sind mit dem Kurs zufrieden. Der Verein hat mehr Mitglieder, die Dauerkarten sind wieder weg. Das ist toll für 1860. Aber ich würde mir wünschen, dass es sportlich vorwärtsgeht.
Ex-Löwe Horst Heldt soll 1860 nach dem Gusto des e. V. in eine positive Zukunft führen.
Ich glaube, dass Horst Heldt nicht neuer Sportchef wird. Anfang 2017 hatten wir in London mit ihm verhandelt, alles war klar – und dann wollte er auf einmal am nächsten Morgen nachverhandeln. So etwas vergisst Hasan nicht, er wird auch jetzt nicht zustimmen.